Geschichte der VIA REGIA (Ein Abriss)

Betrachtet man die Verkehrsbewegungen innerhalb des Kontinents, so kommt den Ost-West- (bzw. West-Ost-) Bewegungen seit jeher eine prägende Bedeutung für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung Europas zu. Es werden in dem Raum, der bis heute als "Paneuropäischer Verkehrskorridor III" europaweit als eine der wichtigsten Verkehrsachsen gilt, bereits für die Steinzeit gehäufte Wanderungsbewegungen von Ost nach West dargestellt. Der Grund: Die Route war vergleichsweise einfach zu bewältigen - nördlich der Mittelgebirge und südlich der Eiszeitzone. Von Städten, Strassen, Fernhandel und Pilgerwesen war damals allerdings noch lange nicht die Rede.

Für die Entstehung einer realen Verkehrsverbindung in Richtung Osten ist bereits die Römerzeit von großer Bedeutung. Es gab um die Zeitenwende befestigte Straßen zwischen den heutigen Städten Bordeaux, Poitiers, Tours, Orléans, Paris, Reims, Metz, Saarbrücken, Kaiserslautern bis nach Mainz, die später noch Jahrhunderte lang genutzt wurden.

Drusus-Büste Römischer Kaufmann

Der römische Feldherr Drusus zog im 1. Jh. n. Chr. von Mainz (Moguntiacum) aus nach Osten in Richtung Elbe, woraus sich in der Folgezeit eine relativ stabile Wegeverbindung entwickelt hat.

Da Drusus auf seinem Feldzug den Volksstamm der Chatten besiegt haben soll, kann angenommen werden, dass er durch die Wetterau, die hessische Rhön, über Thüringen, die Saale entlang zur Elbe gelangt ist. Römische Händler müssen diesen Weg immer wieder benutzt haben, womit der Verlauf der späteren VIA REGIA einige Konturen gewinnt.

Die römische Wegeverbindung wurde auch in der Zeit des Frankenreiches weiter benutzt. Nach dem Tod des Frankenkönigs Chlodwig wurde dessen Reich unter seinen vier Söhnen aufgeteilt, die vier Teilkönigtümer errichteten. Deren Hauptstädte waren das heutige Orléans, Paris, Soissons und Reims, die untereinander durch Strassen aus der Römerzeit verbunden waren.

Chlothar I., Büste aus dem 13. Jahrhundert Reiterstein Krypta König Clothars

Chlothar eroberte von seiner Hauptstadt Soissons aus im Bündnis mit seinem Bruder Theuderich, der in Reims herrschte, im 6. Jahrhundert das Königreich Thüringen. Es ist naheliegend, dass die Franken die vorhandenen Verkehrswege für ihre Kriegszüge nutzten und in der Folgezeit, als große Teile des heutigen Mitteldeutschland bis ins 10. Jahrhundert hinein fränkisches Gebiet waren, die Wegeverbindungen in Richtung Osten stabilisierten.

Überreste einer slawischen Wallanlage Modell der frühmittelalterlichen Burg

Für die Zeit zwischen dem 8. und dem 10. Jahrhundert gibt es eine Reihe von Berichten und Funden, die ausserdem einen Austausch des Frankenreiches mit den slawischen Gebieten belegen. Die Wegeverbindung in Richtung Osten war durch slawische Wallanlagen und Burgen geschützt, an deren Stelle später oft Städte entstanden. Insbesondere jüdische Fernhändler, von denen z.T. angenommen werden kann, dass sie aus dem arabisch besetzten Spanien kamen, sind bis in die Gegend um Krakow belegt.

Jaroslaw der Weise Im 10. Jh. verlegte der Warägerfürst Oleg das Herrschaftszentrum seines Reiches von Nowgorod nach Kiev. Die neue Hauptstadt der Rus wurde zu einer der größten und reichsten Städte Europas und in vielerlei Hinsicht zu einem wichtigen Austauschzentrum zwischen Ost- und Westeuropa. Es gibt viele Hinweise darauf, dass Reisen von Kiev bis nach Paris bzw. in die Gegenrichtung und ein reger Warenaustausch stattgefunden haben. Damit stabilisierte sich der Verlauf der VIA REGIA im Osten.

Mit dem Zerfall der Rus und der Entstehung der Fürstentümer Halicz und Wolhynsk sowie der Gründung neuer Städte im Westteil der heutigen Ukraine festigten sich die Verkehrsbeziehungen, die über die in Mitteldeutschland VIA REGIA genannte Straße Ost- und Westeuropa verbanden.

Nachdem die Goldene Horde 1241 Kiev zerstört hatte, war die Stadt lange Zeit entvölkert und hatte für Jahrhunderte ihre Bedeutung als europäische Metropole und damit auch als exponiertes Reiseziel verloren. Allerdings ist daran zu erinnern, dass dieser nunmehr schon traditionsreiche Weg über Kiev hinaus durch die Khanate der Goldenen Horde bis in den Fernen Osten führte, von wo aus begehrte Luxusgüter auch ihren Weg über die VIA REGIA-Achse bis in den Westen fanden.

Die weitere Ausprägung der Straße ist mit der Erhebung Krakows zur Hauptstadt des Königreichs Polen, der multikulturellen Entwicklung der schlesischen Städte und der Eroberung Galiziens durch den polnischen König Kazimierz Wielki verbunden. Im Grenzgebiet der Sandomierer Tiefebene mit dem Karpatenvorland, durch das seit alters her die wichtigste europäische West- Ost- Wegeverbindung verläuft, sind die ältesten Städte des Karpatenvorlandes entstanden. Zu diesen gehören: Rzeszów, Lancut, Przeworsk, Jaroslaw und Przemysl

Marktwesen und Fernhandel waren seit dem Mittelalter für die Lebenskraft Europas von entscheidender Bedeutung. Die Marktorte an der VIA REGIA belegen in einem besonderen Maße die Bedeutung dieser Straße für die europäische Entwicklung.

Das betrifft die bekannten mittelalterlichen deutschen Marktorte wie Frankfurt am Main, Erfurt, Naumburg oder Leipzig, bezieht sich vor allem aber auch auf jene Handelsplätze wie die zwischen dem 8. und dem 11. Jahrhundert stattfindenden großen Märkte von Verdun, wo auf Grund guter Beziehungen zum maurischen Spanien im 9. Jahrhundert der größte Sklavenmarkt Europas abgehalten wurde, deren "Ware" zum Großteil aus den slawischen Gebieten kam; die Champagne-Messen, deren Blütezeit im 12. und 13. Jahrhundert lag, und für die die Teilnahme von Händlern aus dem Osten nachgewiesen ist, oder die Jahrmärkte im ostpolnischen Jaroslaw, über die bis zum 16. Jahrhundert der größte Teil orientalischer Gewürze gehandelt wurde, die auf dem Landweg nach Westeuropa gelangten.

Kaufmann und Zolleinnehmer

Im 17. und frühen 18. Jahrhundert führten verheerende Kriege in vielen Teilen Europas zu einem allgemeinen Niedergang der Städte, dem Rückgang des Fernhandels und dem Verfall der Straßensysteme. Zudem entstanden im Laufe der Zeit mit Wien, Berlin, Warschau, Moskau neue Herrschaftszentren von europäischer Bedeutung, woran sich die weitere Entwicklung des Verkehrswesens orientierte, sodass die VIA REGIA ihre dominierende Rolle als Ost-West-Landverbindung in Europa verlor. Trotzdem blieb sie auch weiterhin eine der wichtigsten europäischen Straßen in den Osten des Kontinents. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ließ Napoleon von Paris nach Mainz die "Grand Route Impériale" errichten, die womöglich modernste Straße im damaligen Europa, von wo aus er mit seinen Armeen in Richtung Osten bzw. nach der Völkerschlacht bei Leipzig zurück nach Paris zog.

Plünderung Jena (Thüringen) brennt Russische Kosaken

Die Ergebnisse des Wiener Kongresses und die damit verbundene Zersplitterung Europas sowie die Erfindung der Eisenbahn ließen auch die Straße VIA REGIA im 19. Jahrhundert in die Bedeutungslosigkeit versinken.

Grenz- und Zollstation Erfindung der Eisenbahn Mercedes Simplex von 1906

Durch die Erfindung des Automobils musste sie neuen verkehrstechnischen Anforderungen entsprechen, um befahren werden zu können. Der Ausbau einer neuen VIA REGIA in Form von Autobahnen hat erst gegen Ende der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts begonnen. Der Beginn des 2. Weltkrieges führte dazu, dass nur noch sehr eingeschränkt an der Straße gearbeitet werden konnte. Als schließlich 1943 der Bau endgültig eingestellt wurde, war in Mitteldeutschland die Strecke mit Ausnahme einiger Talbrücken, die umfahren werden mussten, (teilweise noch einspurig) fertig gestellt und somit für das Militär nutzbar.

Flaktransport Breslau

Die Folgen des Zweiten Weltkriegs, die Teilung Deutschlands und Europas teilte auch die berühmte Straße, die bis jetzt West- und Osteuropa verbunden hatte, in wirtschaftlich und politisch getrennte Lager. Europa im Ganzen war auf dieser Strecke nicht mehr erreichbar. Die Bezeichnung Ost - West hat in der Geschichte des Kontinentes in jenen Jahrzehnten eine völlig neuartige Bedeutung bekommen.

Die VIA REGIA ist fast vollständig in Vergessenheit geraten. Ihre Symbolik als Verbindungsband der europäischen Länder galt in den Oststaaten als Tabu.

Sowjetisches Durchfahrtsverbotsschild Grenzübergang

Die Entwicklung der letzten Jahre hat den Integrationsprozess der Europäischen Union, die Öffnung der osteuropäischen Staaten und die Liberalisierung des Welthandels vertieft. Die Veränderung der politischen Verhältnisse, die Entstehung neuer Produktionssysteme, die Vergrößerung der Beschaffungsradien und die Ausweitung von Absatzmärkten wirken sich auch auf das Verkehrswesen aus. Die Erneuerung der VIA REGIA ist für die europäische Integration von gewaltiger Bedeutung. Gerade für die polnischen Ballungsgebiete im Süden des Landes spielt diese Verbindung eine enorme wirtschaftliche Rolle. Die A 4, die im Wesentlichen noch immer dem historischen Verlauf der VIA REGIA folgt, ist die wichtigste Straßenverbindung zwischen Deutschland und den Kohle- und Industriegebieten in Polen. Sie soll bis zur ukrainischen Grenze verlängert werden, um den Transitverkehr von Westeuropa in die Ukraine und nach Südrussland zu vereinfachen.

Auch auf der Ebene der VIA REGIA als Kulturstraße des Europarates ist zukünftig noch viel Arbeit zu leisten. Neben der Aufgabe des weiteren Ausbaus und der Erweiterung des VIA REGIA-Netzwerkes und einer aktuellen Definition seiner Zielstellungen bleibt vor allem die Notwendigkeit weiterer Recherchen zur Geschichte der Straße. Das betrifft einerseits heimatgeschichtliche Präzisierungen und Korrekturen von Wegeverläufen in den jeweiligen Regionen, darüber hinaus aber auch die weitere Erkundung größerer Zusammenhänge. Ungeklärt ist gegenwärtig, welche Bedeutung und welchen konkreten Verlauf der Weg von Krakow aus über Prag - Regensburg weiter nach Westen hatte.

Der insbesondere für den Fernhandel wichtige von Flandern über Aachen - Köln nach Osten führende Streckenabschnitt ist ebenfalls noch nicht einbezogen. Auch die Weiterführung der VIA REGIA von Südfrankreich nach Santiago de Compostela ist zunächst noch die unreflektierte Übernahme des Pilgerweges via touronensis, über den viele aus östlicher Richtung kommende Pilger nach Santiago de Compostela gelangten. Eine weitere Bearbeitung erfordert auch die Auffassung des polnischen Städteverbandes "Na kupieckim Szlaku" (Auf dem kaufmännischen Wege), wonach eine wichtige Streckenführung nach der Zerstörung Kievs von Krakow bzw. Lviv aus über Chisinau zu den Krimtataren bzw. den genuesischen Handelskontoren auf der Halbinsel Krim geführt habe, die ebenfalls als Teil des europäischen VIA REGIA-Korridors betrachtet werden könnte.

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