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Reise von Erfurt nach LUBLIN
und das Theater, das kein Theater ist


Jeder Erfurter Stadtführer verweist stolz auf die große Vergangenheit seiner Stadt, die im Mittelalter einer der großen Handelsplätze Europas war. Bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts trafen sich in Erfurt Handels- und Fuhrleute mit Waren aus Flandern und dem Niederrheingebiet mit Transporteuren aus Schlesien und Polen...
Die "großen gedeckten polnischen Wagen" fuhren von hier aus zurück über "Lipczk" (Leipzig) "uff Ylnburg adir Grym (Eilenburg oder Grimma), von Grym uff Ylnburg adir Oschatz, von Oschatz uff den Hayn (Großenhain), vom Hayn uff Konigsburg (Königsbrück) und dann furder... uff Camenz (Kamenz), Budissin (Bautzen), Gorlicz (Görlitz) und furder gein Breßlaw" (Breslau) und weiter nach Osten.

In der Marktstrasse, der Michaelisstrasse, am Wenigemarkt oder in der Futterstrasse werden die Touristen darauf aufmerksam gemacht, dass hier einst die berühmte Handelsstrasse VIA REGIA entlang führte, die den Westen und den Osten Europas verband und – da variieren die Aussagen – von Frankfurt nach Leipzig, von Santiago de Compostela nach Kiev, von Antwerpen nach Krakau oder von Paris bis zur Krim führte.

Es ist lohnenswert, diese „Strasse“ zu erleben, die in einer einmaligen Form die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft unseres „Kulturraums Europa“ verkörpert. Sie war seit jeher Handels-, Heeres- und Pilgerweg, auf diesem Weg hat sich seit über eintausend Jahren der internationale Warenaustausch zwischen Ost- und Westeuropa vollzogen, hier sind die deutschen Kolonisten in den slawischen Osten bis tief in die heutige Ukraine gezogen, auf ihr sind im Mittelalter die aus Westeuropa vertriebenen Juden nach Osten geflüchtet, auf der VIA REGIA sind die Armeen Napoleons gezogen, an dieser Trasse wurde in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Autobahn gebaut, hier entlang wurden von Westen und Osten die Juden in die Vernichtungslager von Auschwitz und Majdanek transportiert, und auf dieser Strasse zogen die Flüchtlingstrecks der deutschen Schlesier nach dem Ende des 2. Weltkriegs in Richtung Westen.

Und wo vor 500 Jahren mühselige Tagestouren von 20 km angesagt waren, gilt heute – zumindest auf dem deutschen Abschnitt der Autobahn A 4: „Freie Fahrt für freie Bürger!“ Ein Höhepunkt auf der Reise von Erfurt an die deutsche Ostgrenze ist der Tunnel durch die Königshainer Berge. Der 3.300 m lange Tunnel unter Nichts ist in den neunziger Jahren für 137 Mio. DM erbaut worden. Die meisten Fachleute sind sich darin einig, dass eine Umfahrung des zweifellos bewahrenswerten Landschaftsschutzgebietes wesentlich billiger gewesen wäre. Aber damals waren wir ja noch reich und glücklich, und Geld, vor allem, wenn es in Form von Fördermitteln aus dem Westen kam, spielte keine Rolle. Es ist ja schließlich auch wieder zurück geflossen, die bauausführenden Firmen haben ihren Sitz in NRW und in Bayern, aber wir haben den Tunnel. Eine Attraktion ist er schon: In einem elegant – leichten Bogen fährt man in die beleuchtete Röhre und kommt sich mitten im oberlausitzer Flachland vor, als wäre man in den Alpen, oder zumindest im Thüringer Wald.

Kurz darauf erreicht man beim Grenzübergang Ludwigsdorf die polnische Grenze. Schluss mit Lustig. Hier endet die Autobahn und die Prosa klassischer Landstrassen beginnt. Noch 600 km bis Lublin. Wir stehen vor einer schwierigen Frage. Nach Auskunft unserer Lubliner Projektpartner führte die alte Handelsstrasse von Wroclaw/ Breslau in ihrer nördlichen Streckenführung über Radom und Lublin weiter in die Ukraine. Lt. Map24 ist auch heute noch der Weg kürzer, wenn man gleich hinter Wroclaw nach Norden abbiegt. Man kann wählen zwischen Teufel und Beelzebub: Die längere Strecke erreicht irgendwann die neue Autobahn nach Krakau, man könnte also schneller fahren, die freien Bürger gelten auch in Polen viel. Aber die Strecke hat noch einige „Nadelöhre“, an denen man gegebenenfalls Stunden im Stau steht. Die Landstrassen- Tour ist, wie gesagt, kürzer, die Strassen sind meist auch gut ausgebaut, aber drei Trucks hintereinander, angeführt von einem Trecker, können einem auf einer Straße ohne Überholspur ganz schön zu schaffen machen.

Wie auch immer, wir entscheiden uns für die Landstrasse und sind gegen vier Uhr morgens nach 10 Stunden Fahrt in Lublin angekommen. Das hat immerhin den Vorteil, dass man auf dem sechsspurigen Stadtring `mal über die weiße Linie fahren und die Fahrtrichtung wechseln kann, ohne dass es zu einer Katastrophe kommt, weil man nicht genau weiß, wo man das Hotel finden soll.

Lublin ist ein Juwel unter den polnischen Städten und wird von vielen – meist inländischen – Touristen aufgesucht. Die Häuser am Marktplatz stammen aus dem 15. und 16. Jahrhundert, zahlreiche malerische Durchgänge führen in kleine Seitengassen. Im 2. Weltkrieg wurde vieles zerstört. Aber Polen war bereits in Zeiten der Volksrepublik dafür bekannt, dass es hervorragende Restauratoren ausgebildet hatte und sein bauliches Erbe nach den Zerstörungen des Krieges mit handwerklicher Akribie und historischer Genauigkeit wieder herstellte. Und so sind auch in der Altstadt von Lublin die Spuren des Krieges schon lange beseitigt. Aber dieses großartige Ensemble hat heute mit den Folgen eines jahrzehntelange „Modernisierungsstaus“ zu kämpfen. Violetta, unsere Begleiterin, träumt davon, dass eines Tages die Altstadt von Lublin so aussehen möge, wie im „Westen“. Aber wir können die Diskussion zu keinem Ergebnis bringen: "Was ist schöner und für wen? Venedig oder Kassel?"

Jedenfalls hat die Altstadt ihr Leben wieder gewonnen. Gab es bis 1989 hier eine einzige Gaststätte, sind es heute 44 Restaurants, Bistros, Kneipen, Cafés, die an Sommerabenden dazu einladen, auf dem Rynek zu sitzen, Bier zu trinken und sich mit der polnischen und internationalen Küche bewirten zu lassen.

Verlässt man die Altstadt in östlicher Richtung, erhebt sich in geringer Entfernung der Schlossberg. Im 14. Jahrhundert ließ der letzte polnische König aus dem Geschlecht der Piasten, Kasimir der Große, an dieser Stelle ein Schloss errichten. Erhalten aus dieser Zeit ist die St. Trinitatiskapelle, die der Begründer der nachfolgenden Jagiellonen- Dynastie, Wladyslaw Jagiello, im Jahre 1418 im ruthenisch- byzantinischen Stil ausmalen ließ.
Dadurch wird das westeuropäisch- gotische Bauwerk zu einem einmaligen Zeugnis der einmütigen Verbindung zivilisatorischer und religiöser Ideen aus unterschiedlichen Quellen.

Das aber ist womöglich das ganz Besondere in der Kulturgeschichte dieser Region: Das traditionelle und meist friedliche Zusammenleben unterschiedlicher ethnischer und religiöser Gruppen: Polen, Ruthenen (Ukrainer), Juden, Armenier, Deutscher. Eine besonders große Bevölkerungsgruppe waren in diesen ehemaligen Ländern Galizien und Wolhynien Juden. In Lublin haben sie sich bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts angesiedelt. Sie mussten ihre Häuser zwar außerhalb der Stadtmauern bauen und durften zunächst die Stadt nicht betreten, im 16. Jahrhundert erhielten sie jedoch u.a. das Privileg, sich zu Füßen der Burg anzusiedeln. Die größte Synagoge der Stadt stand in unmittelbarer Nähe des königlichen Schlosses.

Heute ist an der Stelle, wo sich einst das jüdische Stadtviertel befand, ein großer leerer Platz.

Seit 1942 wurde auf Befehl des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, die "Aktion Reinhardt" umgesetzt, die die Vernichtung der Juden im damaligen "Generalgouvernement" vorsah und ihre Zentrale in Lublin hatte. Mit der Durchführung der Aktion beauftragte Himmler den Lubliner SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik. Die "Aktion Reinhardt" stellt den Höhepunkt der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gegenüber den Juden dar.

Die Spuren des Terrors sind in Lublin und Umgebung deshalb auf besonders erschütternde Weise unübersehbar. Am Rande der Stadt wurde seit 1941 das KZ Majdanek errichtet, das das größte Konzentrationslager außerhalb des Deutschen Reiches werden sollte und in dem bis zu seiner Auflösung im Juli 1944 etwa 250.000 Menschen ermordet bzw. in den Tod getrieben wurden. Teile des Lagers, Baracken, Umzäunungen, Wachtürme, ein Krematorium, konnten bei der Evakuierung von der SS nicht mehr zerstört werden. Seit Oktober 1944 sind sie Teil einer Gedenkstätte.


Wir besuchen den Ort an einem strahlend sonnigen Sommernachmittag. Zwischen saftig grünen Wiesen stehen eine Handvoll dunkelbrauner Holzbaracken, die aus der Ferne den Eindruck einfacher, einladender Berghütten erwecken. Kleine Gruppen von meist jugendlichen Besuchern, die aussehen wie Wanderer, laufen durch das Gras. Ein anmutiges Bild: ... „Auf, lasst uns singen und nicht beten! Es scheint die Sonne in Lublin!"

...

Es sang ein Lied die deutsche Tante,
Strafft sich den Rock und geht voraus,
Und dort, wo heiß die Sonne brannte,
Zählt sie uns nochmal vor dem Haus.

Zu hundert, nackt in einer Zelle,
Ein letzter Kinderschrei erstickt...
Dann wurden von der Sammelstelle
Die Schuhchen in das Reich geschickt.

Es schien sich das Geschäft zu lohnen,
Das Todeslager von Lublin.
Gefangenenzüge, Prozessionen.
Und - eine deutsche Sonne schien...


Geht man in das Innere der Baracken, die in ihrer originalen Ausstattung zum Zweck perfekt und hygienisch organisierter Tötung der Häftlinge erhalten sind, erfriert der Eindruck der Sommerfrische.

Auch sechzig Jahre danach haben wir einen Kloß im Hals. Worauf lässt man sich ein? Die Kleingärten der Stadtbewohner sind inzwischen bis an die Grenze des ehemaligen Lagergeländes vorgewachsen. Eine große Gruppe Jugendlicher aus Israel geht während unseres Aufenthaltes anscheinend eher gelangweilt durch das Gelände und unlängst schrieb das deutsche Mädchen Susanne in einem Internet-Forum:

„Ich habe in der 10. Klasse ein Gedicht aufgesagt, das hieß: "Kinderschuhe aus Lubmin". Leider weiß ich nicht, von wem das ist; nur noch, dass es unendlich viele Strophen hat.“ ...

Wenige Tage nach der Befreiung des Lagers kam der sowjetische Kriegskorrespondent und Schriftsteller Konstantin Simonow nach Majdanek. Es war das erste Vernichtungslager, das die Alliierten auf ihrem Vormarsch gegen das nationalsozialistische Deutschland erreichten. Simonow erinnerte sich:

„ ... am ersten Tag glaubte ich wahnsinnig zu werden ... Mein Bleistift glitt über das Papier, während sich mein Kopf noch sträubte zu glauben, was ich schrieb.“

Und angesichts der von der SS zurückgelassenen „Lagerbestände“ notierte er:

„Das Schrecklichste: Zehntausend Paar Kinderschuhe, Sandalen, Pantoffeln, Schnürschuhe von Zehnjährigen, von Einjährigen ...“

Sein Bericht erschien als Serie in der Moskauer Zeitschrift „Krasnaja Swesda“. Und Johannes R. Becher hat das Gedenken an die ermordeten Kinder von Majdanek in seiner Ballade „Kinderschuhe aus Lublin“ bewahrt (s.o.).

Im Jahre 1998 eröffnete die Projektgruppe „Theater N.N.“ ihr Ausstellungs- und Begegnungszentrum im "Grodzka-Tor“, der einstigen Grenze zwischen dem christlichen und dem jüdischen Stadtteil, mit dem Projekt "Das große Buch der Stadt". Im Rahmen dieses Projekts wird Archivmaterial zur polnisch-jüdischen Geschichte der Stadt Lublin vor 1939 gesammelt und ausgestellt. Ein Drittel der Bevölkerung, ca. 120.000 Menschen, waren damals Juden. Die Ausstellung ist sachlich, informativ und emotional zugleich. Dazu gehören alte Fotos, Tonbandaufnahmen von Zeit- und Augenzeugen und andere Dokumente und Gegenstände.

Eindrucksvoll insbesondere auch die Collage aus den Originalstimmen von Zeitzeugen. Eine der Stimmen gehört Józef Honig. Er hat den Holocaust überlebt und war von der Stadtverwaltung zur Pflege des jüdischen Friedhofs angestellt. Im Jahre 2003 ist Józef Honig gestorben. Er war der letzte Jude in Lublin.

Jürgen Fischer