Nachtrag zum 25. Jahrestag des Mauerfalls

In Folge der Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg trugen sich an der der innerdeutschen Grenze auch im Bereich der VIA REGIA tragische aber auch kuriose Ereignisse zu.
So erlangte die Druckerei Hoßfeld in Philippsthal an der Werra einige Berühmtheit. Da ein kleiner Teil des Gebäudes auf thüringischem Boden lag, verlief die Grenze mitten durch das Haus hindurch.
Ein anderer, viel tragischerer Vorfall ereignete sich 1962 im Grenzbereich zwischen dem thüringischen Geisa und dem hessischen Rasdorf, als eine Patrouille des Bundesgrenzschutzes und Grenztruppen der DDR aufeinander trafen.
Dieses Aufeinandertreffen endete mit dem Tod des DDR-Grenzsoldaten Rudi Arnstadt und zog möglicherweise 35 Jahre später die Ermordung des Bundesgrenzschutzbeamten Hans Martin Plüschke nach sich, der den tödlichen Schuss abgefeuert hatte.
Beide Geschichten kann man in den „100 x Kleine Geschichte(n) an der VIA REGIA“ finden.


Die Druckerei Hoßfeld

Seit alters her führte die VIA REGIA an der heutigen Grenze zwischen Hessen und Thüringen auf einer steinernen Brücke über die Werra. Hier verlief nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die innerdeutsche Grenze. Die Brücke war bis 1989 für jeglichen Verkehr gesperrt.

An dieser Stelle lag am rechten Ufer der Werra die Druckerei Hoßfeld. Das Bauwerk mit Wohnhaus und Druckerei wurde 1890 unmittelbar an der thüringischen Landesgrenze erbaut. Die Druckerei trug zunächst den Namen „Hoßfeld‘sche Hofbuchdruckerei“ und war Herausgeber der „Rhön-Zeitung“, die von 1893 bis 1941 als Tageszeitung überwiegend im Thüringer Raum erschien. Als Firmensitz war Philippsthal-Vacha eingetragen, da die Steuern im damaligen Preußen (Philippsthal) niedriger waren als in Thüringen (Vacha). Die Firma erweiterte 1924 ihre Räume über die Landesgrenze hinaus und verlegte die Druckmaschinen auf thüringisches Gebiet. Das Objekt befand sich nunmehr zu einem Zwölftel in Thüringen (nun flossen auch hierhin die schon lange geforderten Steuern) und zu elf Zwölfteln in Preußen.

Als sich in den Nachkriegsjahren die Grenze mehr und mehr schloss, entstand ein Kuriosum: Die Grenze zwischen der DDR und der BRD verlief mitten durch das Hoßfeldsche Haus. In der Silvesternacht 1951/52 wurden die Druckmaschinen wegen der Gefahr der Enteignung aus dem thüringischen wieder in den nunmehr hessischen Gebäudeteil gebracht und die Verbindungstür zugemauert. Daraufhin verwehrte die DDR der Besitzerin jeglichen Zugang zu diesem Hausteil und gestattete auch dringend notwendige Reparaturen nicht.

Erst im Ergebnis des Grundlagenvertrages zwischen der BRD und der DDR (1972) und der Tätigkeit der gemeinsamen Grenzkommission beider deutscher Staaten wurde das thüringische Zwölftel mit Wirkung vom 1. Januar 1976 wieder an Frau Hoßfeld zur Benutzung übergeben. Die Grenze verlief nun in einigen Metern Abstand um das Haus Hoßfeld herum.

Die Grenze zwischen Philippsthal und Vacha im Jahre 1971 von hessischer Seite aus. Im Hintergrund steht die Druckerei Hoßfeld. Man kann den unbewohnten Hausteil auf DDR-Gebiet deutlich erkennen.


Der Mord am Grenzschützer Hans Martin Plüschke

Der Fall gehört zu den rätselhaftesten in der deutsch-deutschen Grenzgeschichte: Ein Bundesgrenzschützer erschießt vor 50 Jahren einen DDR-Soldaten. Die Identität des BGS-Mannes bleibt 35 Jahre geheim. Als sich der Schütze offenbart, wird er 1998 getötet.

Im August 1962, ein Jahr nach dem Bau der Berliner Mauer riegelt die DDR auch die Grenze zwischen Hessen und Thüringen dicht ab. Dabei treffen am 14. August Posten aus Ost- und Westdeutschland aufeinander. Es fallen Schüsse. Ein Hauptmann der DDR-Grenztruppen stirbt. Der Fall wird nie restlos geklärt. Jahre nach der Wende wird der Schütze selbst erschossen.

An der VIA REGIA zwischen dem hessischen Rasdorf-Setzelbach (Kreis Fulda) und dem thüringischen Geisa- Wiesenfeld (Wartburgkreis) bauen 200 DDR-Grenzsoldaten einen stabilen Grenzzaun. Der damals 23 Jahre alte Oberjäger des Bundesgrenzschutzes (BGS), Hans Martin Plüschke, befindet sich mit zwei Kameraden gegen elf Uhr vormittags auf einem Inspektionsgang, als Schüsse fallen. Ein Kompaniechef der Grenztruppen, der 35 Jahre alte Hauptmann Rudi Arnstadt, schießt ohne Vorwarnung mit einer Pistole in Richtung Westen.

Möglicherweise gelten die Schüsse gar nicht der BGS-Streife. Es ist gut möglich, dass der DDR-Hauptmann den Fluchtversuch eines Soldaten unterbinden will. Tage zuvor war in diesem Abschnitt einem DDR-Grenzer die Flucht gelungen.

Die BGS-Patrouille sieht sich als Ziel der Attacke. Plüschke erwidert das Feuer. Eine Kugel trifft Arnstadt oberhalb des rechten Auges tödlich. Plüschke erklärt später, er habe nicht gezielt, sondern sei nach den Schüssen aus dem Osten herumgefahren und habe aus der Hüfte mit dem Schnellfeuergewehr einfach abgedrückt.

Die Staatsanwaltschaft Fulda ermittelt und stellt das Verfahren dann im Oktober 1962 ein: Plüschke habe in Notwehr gehandelt. Die DDR hingegen spricht von einer westdeutschen „Provokation“ und „Bonner Mördern“.

Wer den tödlichen Schuss abgab, blieb geheim. Der Schütze und die Behörden schwiegen. Plüschke schied 1970 aus dem BGS aus und baute im nahen Hünfeld eine Taxifirma auf. Aus Furcht vor Rache aus dem Osten führte er oft eine Waffe mit sich. „Ich hatte die meiste Angst davor, dass die meine Kinder entführen“, sagte der fünffache Vater 1997 in einem Fernsehinterview zum 35. Jahrestag der Schüsse. Darin bekannte sich Plüschke erstmals öffentlich, 1962 den tödlichen Schuss auf den DDR-Grenzer abgegeben zu haben.

Sieben Monate später ist er tot. Am 15. März 1998 ist er nachts als Taxifahrer unterwegs. Um 4.10 Uhr wird er, 70 Meter von seinem BMW entfernt, erschossen. Die Kugel trifft ihn - so wie den Grenzer Arnstadt - oberhalb des rechten Auges. Nur Zufall? Der Tatort, ein Feldweg an der Bundesstraße 84 zwischen Hünfeld und Neuwirtshaus, ist nur acht Kilometer vom Tatort des Jahres 1962 entfernt.

Der Mörder raubt weder Geld noch Papiere, obwohl die Geldbörse sichtbar im Auto steckte. Die „Fuldaer Zeitung“ schreibt von einer „Hinrichtung“. Vom Täter fehlt jede Spur. 2008 stellen Spezialisten des Hessischen Landeskriminalamts am Auto des Opfers und an dessen Kleidung mit neuen Methoden DNA-Spuren fest. Aber auch das bringt sie nicht weiter.

„Wir sind mehr als 100 Spuren nachgegangen - ohne Erfolg“, sagt Staatsanwalt Harry Wilke. Auch die Möglichkeit, dass der Mord von 1998 ein Racheakt sei, sei dabei intensiv geprüft worden. Konkrete Hinweise für die Annahme habe es aber nicht gegeben. „Die Akten werden nicht weggelegt. Wenn es neue Spuren gibt, gehen wir ihnen nach. Das ist aber nicht sehr wahrscheinlich“, so Wilke. Der Fall bleibe im Blick der Fuldaer Ermittlungsbehörden. Denn Mord verjährt nicht.

Die DDR-Führung erklärte Rudi Arnstadt zum Volkshelden. Er wurde auf dem Ehrenhain des Erfurter Hauptfriedhofes beigesetzt. In der Ehrengräbersatzung von Erfurt wurde 2010 das Grab von Arnstadt als erhaltenswert und als „Zeugnis der DDR-Geschichte&ldqquo; eingestuft.
Foto: Bernhard Schwaiger/Wikipedia
Titel: Tomb Rudi Arnstadt
Lizenz: CC BY-SA 4.0



Weiterführende Links:

100 x Kleine Geschichte(n) an der VIA REGIA mit ausführlichen Artikeln zu den beiden Ereignissen
Wikipediaeintrag über Rudi Arnstadt
Wikipediaeintrag über Hans Martin Plüschke
Die Rolle des VIA-REGIA-Korridors im Raum Fulda in den Szenarien der Generäle während des Kalten Krieges


Quellen:

Artikel über die Druckerei Hoßfeld auf der Seite „grenzerinnerungen.de“
Artikel von Volker Nies über den Mord am Grenzschützer Hans Martin Plüschke aus der „Fuldaer Zeitung“ vom 12.08.2012