Vor mehr als 100 Jahren haben sich vor allem Heimatforscher für die VIA REGIA als mittelalterliche Handelsstraße zu interessieren begonnen. Sie haben Wegeverläufe erforscht, Geschichte und Geschichten erzählt, denn gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich ein deutliches Interesse an Regionalgeschichte. Oft gingen die Impulse von noch aktiven oder schon pensionierten Lehrern aus, die örtliche Heimatvereine gründeten, kleine Museen initiierten oder betreuten und in allen Fragen, die die Geschichte der Gemeinde betrafen, als kompetent galten. Ein herausragendes Beispiel für dieses Herangehen ist u.a. eine Veröffentlichung von Luise Gerbing aus Schnepfenthal (Thüringen, Landkreis Gotha), die im Jahr 1900 erschien:
„Erfurter Handel und Handelsstraßen“

Bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden aus regionalgeschichtlichem Interesse sehr viele Details auch zur Geschichte der VIA REGIA gesammelt und veröffentlicht, mit welchen Namen die Straße in den verschiedenen Gegenden auch bezeichnet wurde.

Wir haben begonnen, in einer virtuellen Bibliothek diese Texte zu sammeln und zu veröffentlichen. Noch ist die Seite „den Kinderschuhen nicht entwachsen“. Die bisher veröffentlichten Texte beschäftigen sich zum größten Teil mit der VIA REGIA in Thüringen, die anderen Bundesländer und das europäische Ausland müssen in Zukunft ergänzt werden. Auch dort gibt es viel Material, das oft nur in regionalen Periodika, Fest- und Jubiläumsschriften veröffentlicht wurde, und das in einer überregionalen Sammlung zugänglich gemacht werden und ein europäisches Bild von der Geschichte der Straße VIA REGIA schaffen soll.

Etwas anders stellt sich die Frage nach der Entstehung von VIA REGIA-Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wenn sich die Geschichte der Straße mit Ereignissen verbindet, die traditionell den Themen der „großen Forschung“ zugeordnet werden. Hans Bürgin veröffentlichte 1933 sein Buch „Der Minister Goethe vor der römischen Reise: seine Tätigkeit in der Wegebau- und Kriegskommission“. Darin wird auf der Grundlage akribischer historischer Forschung die Tätigkeit Goethes als Mitglied des „Geheimen Consiliums“ im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach dargestellt, in dem er u.a. für den Wegebau verantwortlich war. Es geht in der Veröffentlichung um die Tätigkeit Goethes, die Modernisierung des Herzogtums und die Widerstände, auf die der junge Minister bei seinen Reformbestrebungen stieß. Die Geschichte der Straße VIA REGIA wird in der Arbeit insofern dargestellt, als die Pläne Goethes, die Straßen zwischen Erfurt und Weimar, Weimar und Jena chaussieren zu lassen, die Verlagerung des Handelsweges von Erfurt nach Leipzig über Weimar – Apolda bzw. Weimar – Jena herbeiführten und damit eine markante Veränderung und Erweiterung des VIA REGIA – Korridors in Thüringen einleiteten, auch wenn sie in seiner Amtszeit bis 1786 zum großen Teil nicht mehr verwirklicht wurden.

1941 erschien Edwin Redslobs Buch „Des Reiches Straße - Der Weg der deutschen Kultur auf der Strecke Frankfurt – Berlin“. Er schuf damit einen neuen Ansatz in der deutschsprachigen VIA REGIA-Literatur. Redslob war bis 1933, als ihn die Nationalsozialisten aller Ämter enthoben, Reichskunstwart, der für alle staatlichen Kunst- und Kulturfragen zuständig war. In den Folgejahren veröffentlichte er mehrere Bücher zu kulturgeschichtlichen Themen. Nach dem Kriege war er Mitbegründer der Berliner Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ und Mitinitiator und zeitweise Rektor der Freien Universität Berlin (FU) im Westteil der Stadt. Redslob war der erste Autor, der die VIA REGIA als Sinnbild für kulturelle Prozesse im West-Ost-Austausch darstellte und der auch die Idee vom VIA REGIA- Korridor entwickelte, in dem er Orte, Persönlichkeiten und Leistungen beschrieb, die sich zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedliche Wegeverläufe knüpften. Besonders bemerkenswert ist dabei seine geografische Sicht auf die VIA REGIA, die er von Leipzig aus nicht über Görlitz nach Wrocław (Breslau) sondern nach Berlin führte.

Das ist insofern sicher ahistorisch, als Berlin als Ansiedlung in einer Zeit, als die „Königsstraße“ im rechtlichen Sinne noch „Königsstraße“ war, keine überregionale Bedeutung hatte. Es gab keine „Königsstraße“, die bis zum 13. Jahrhundert von Leipzig nach Berlin geführt hätte. Die urkundliche Ersterwähnung Berlins erfolgte im Jahre 1244. Er nannte den Weg auch nicht VIA REGIA, sondern „Des Reiches Straße“, bezog sich von Frankfurt bis Leipzig jedoch auf den seit alters her bestehenden Wegeverlauf der VIA REGIA.

Damit ist Redslob der Anstoß zu danken, die VIA REGIA-Idee nicht auf einen aus dem Mittelalter stammenden Wegeverlauf zu reduzieren, der spätestens mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes „erloschen“ wäre. Redslob bezog in seiner Darstellung die politische und wirtschaftliche Entwicklung des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts ein und trug der Tatsache Rechnung, dass das Erstarken der preußischen und später reichsdeutschen Metropolen Potsdam und Berlin, die Verschiebung von Machtverhältnissen und Veränderungen in der Wirtschaftsentwicklung die Verkehrskorridore in Mitteleuropa auch in Bezug auf die europäische Ost-West-Achse VIA REGIA wesentlich veränderten.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es in Bezug auf die Entwicklung der VIA REGIA-Literatur zwei Grundtendenzen.

Auf der einen Seite wurde die VIA REGIA aufgrund der Teilung Deutschlands und Europas zum Sinnbild eines völkerverbindenden Ost-West-Austauschs. Das herausragende Zeugnis dafür ist der zweibändige Ausstellungskatalog „Die Straße – Geschichte und Gegenwart eines Handelsweges“. Aus Anlass des 750. Jubiläums der Messen in Frankfurt/Main haben die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen und das Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Johann-Wolfgang-von Goethe-Universität Frankfurt/ Main als deutsch-deutsche Gemeinschaftsproduktion das Vorhaben vorbereitet, das der Geschichte der VIA REGIA zwischen den beiden Messestädten Frankfurt/Main und Leipzig nachging. Die sehr umfangreiche und profunde Ausstellung (auch wenn in den Darstellungen die VIA REGIA von Erfurt aus über Weimar – Jena und nicht über Buttelstedt geführt wird, was erst ab dem 19. Jahrhundert der Fall war) wurde im Herbst 1989 eröffnet. Sie erlangte während der Ereignisse der „Wende“ in Mittel- und Osteuropa und der innerdeutschen Grenzöffnung jedoch nicht diejenige öffentliche Aufmerksamkeit, die das Thema in den Vor-Wende-Jahren erregt hätte. Die beiden Katalogbände sind jedoch bis heute die ausführlichste Darstellung des VIA REGIA-Wegeabschnittes zwischen Frankfurt/ Main und Leipzig.

Auf der anderen Seite hat sich in den Nachkriegsjahrzehnten in der wissenschaftlichen Forschung einiges in der Bewertung von Vergangenheit geändert: die „Geschichte von unten“ ist in ihrer Bedeutung relevant geworden. Die damit verbundenen neuen Fragestellungen bewirkten auch einen Trend von der Staaten- und Landesgeschichte zur Regionalgeschichte. Es vollzog sich ein Vorstellungswandel, der den lokalgeschichtlichen Ereignissen eine wissenschaftliche Bedeutung nicht mehr absprechen wollte oder konnte. In diesem Rahmen entwickelte sich auch eine auf die VIA REGIA bezogene Forschung zu regionalen Abschnitten, die inzwischen zu zahlreichen Erkenntnissen geführt hat. Insbesondere in den letzten zwanzig Jahren sind zahlreiche Arbeiten zu VIA REGIA-Themen entstanden. An der Bauhaus-Universität Weimar, an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, an der Hochschule Zittau/ Görlitz sind Forschungsprojekte und Diplomarbeiten realisiert worden, die sich mit unterschiedlichen VIA REGIA-Themen von der Altstraßenforschung über die Urbanistik bis zur Tourismusentwicklung auseinander gesetzt haben. Wissenschaftler wie Prof. Dr.-Ing Hartmut Wenzel, (Bauhaus-Universität Weimar), Prof. Dr.-Ing. Hans-Dieter Blanek (Hochschule für Technik und Wirtschaft, Dresden), Prof. Dr. Margita Großmann (Hochschule Zittau/ Görlitz) und andere haben zu einem breiten VIA REGIA-Themenspektrum publiziert. Prof. Dr. Dieter Hassenpflug (Bauhaus-Universität Weimar) hat in dem Artikel „Die VIA REGIA und das 'Neue Europa'“ einen weiten Bogen von der Geschichte der Straße bis zu dem Potenzial geschlagen, das sich mit der VIA REGIA-Idee auf der Ebene postmoderner Lebenserwartungen verbinden kann.

Von 1991 bis 2004 hat das Europäische Kultur- und Informationszentrum in Thüringen die Schriftenreihe
„VIA REGIA – Blätter für internationale kulturelle Kommunikation“ herausgegeben. Die Straße VIA REGIA hat darin die symbolische Bedeutung des Ost-West-Austausches, ohne dass die historischen, kulturtheoretischen, künstlerischen oder gesellschaftspolitischen Beiträge von meist international renommierten Autoren in einem unmittelbaren Zusammenhang zu einem konkreten Wegeverlauf gestanden hätten. Die „Blätter“ sind insofern noch von gegenwärtigem Interesse, als sie wichtige Denkweisen der „Nachwendezeit“ auf europäischem Niveau dokumentieren.

In den letzten Jahren ist schließlich eine neue Gruppe VIA REGIA-Literatur entstanden: Wissenschaftliche Analysen und Studien, die sich aus aktuellen Fragestellungen heraus mit den Möglichkeiten beschäftigt haben, die die VIA REGIA-Idee für zukünftige Entwicklungen im Prozess der europäischen Einigung beinhaltet. Die Studien reichen von Fragen der Verkehrsplanung bis zu touristischen Entwicklungskonzepten. Wesentliche Beiträge sind hierfür in dem EU-Förderprojekt ED-C III VIA REGIA entstanden, das unter Federführung des Sächsischen Innenministeriums von 2006 bis 2008 verwirklicht wurde.
Auf der Website von „VIA REGIA – Kulturstraße des Europarates“ ist davon u.a. veröffentlicht:
„VIA REGIA – Den Süden Polens mit Bus und Bahn entdecken.“