Der Sechsstädtebund - entstanden an den Fernhandelsstraßen der Oberlausitz

Text und Bilder:
Joachim Hennig,
Entlang der VIA REGIA - auf den Spuren eines mittelalterlichen Handelsweges durch die Oberlausitz


Die im Mittelalter planmäßig angelegten Städte waren in den Rang königlicher Städte gehoben. Vorrechte und Privilegien wie Stadtummauerung, Münzrecht, Steuerfreiheit, eigene Gerichtsbarkeit u. ä. unterstrichen das. Die Bedeutung dieser Städte für den Fernhandel kam vor allem in verliehenen Markt-, Stapel- und Niederlassungsrechten zum Ausdruck. Systematisch wurden ihnen Funktionen übertragen, die sie in königlichem Auftrage vollzogen. Im Bereich der Oberlausitz eine Sonderheit, die sich aus ihrer Rolle als Nebenland, als Land ohne eigene Dynastie ergab. Die Einheit von wirtschaftlicher Prosperität und Landfrieden erforderte geradezu die Einbeziehung der Städte als natürliche Verbündete der Königsmacht zur Ausübung von Ordnungsfunktionen im Auftrage, des überwiegend abwesenden Landesherren. Das war natürlich auch Ausdruck eines sich verschiebenden Kräfteverhältnisses bei der Zurückdrängung feudalistisch-selbstherrlicher Praktiken des Adels. Die infolge dieser Auseinandersetzungen bedingten wirtschaftlichen Auswirkungen trafen zuerst den Kleinadel, der dann seine Befähigung zur Waffenführung zunehmend für Raub und Plünderungen einsetzte, auch an den Lebensadern des Fernhandels. Raub, Mord und Brandstiftung waren an der Tagesordnung.

So entsprach es der Logik der Entwicklung, dass sich das städtische Bürgertum immer stärker der eigenen Kraft bewusst wurde und über die eigenen Stadtmauern hinaus politisch zu denken begann. Es erkannte die Gemeinsamkeit als Erfordernis von Stärke und Macht beim Vollzug der äußeren und inneren Funktionen zur Gewährleistung des Landfriedens und Wahrung von Ordnung und Sicherheit. Diesem neuen Stand der politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung entsprachen die an den Fernhandelsstraßen gelegenen Städte Kamenz, Bautzen, Löbau, Görlitz, Lauban und Zittau mit dem am 31. August 1346 geschlossenen Sechsstädtebündnis, das mit ausdrücklicher königlicher Zustimmung zustande gekommen war. So befahl Karl IV. - deutscher und böhmischer König, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches - zu "brechen vnde burnen schedeliche hove vnde vesten" und dafür zu sorgen, dass keine neuen Raubnester mehr entstehen. Das Bündnis blieb bis zum Jahre 1815, während der Zeit sich natürlich die Funktionen änderten.

Die Ausgangsfunktion erfüllten die Sechsstädte im 14. und 15. Jahrhundert mit großem Eifer. So lässt uns A. Moschkau in seiner Arbeit "Raubburgen der Lausitz, Schlesiens und Böhmens" wissen, dass in besagtem Zeitraum etwa fünfzig befestigte Höfe und Raubburgen zerstört wurden. Bei näherer Betrachtung ist allerdings nicht zu übersehen, dass Übereifer und nicht immer verständliche Parteilichkeit auch zu missbräuchlichen Handlungen geführt haben. Die Hauptfunktion des Sechsstädtebundes als Organisator der Friedensbewahrung wurde aber erfüllt. Auch während der Hussitenkriege bewährte sich die Einheit des Bundes. Doch schon in dieser Zeit zeigten sich unterschiedliche Interessen zwischen den unteren und oberen Schichten des Bürgertums. Auch wuchs die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen den Städten, was sich u. a. in der Bierfehde zwischen Görlitz und Zittau ausdrückte. Bauernunruhen, die Reformation, permanente Streitigkeiten auf Königsebene und die intrigierenden Handlungen des Adels förderten die Interessenunterschiede. Die gesamtgesellschaftlichen Widersprüche in Mitteleuropa entluden sich im Schmalkaldischen Krieg. Mit einem besonderen Vorkommnis wurde dort der tiefe Graben, der den Sechsstädtebund und den Oberlausitzer Adel trennte, offensichtlich. Vertreter des Adels bezichtigten den Bund, die König Ferdinand I. zugesagte Waffenhilfe bewusst verzögert zu haben. Die Folge war ein 1547 vom König verhängtes Strafgericht - Pönfall genannt - das die Sechsstädte der meisten ihrer Privilegien beraubte. Trotz erheblicher Einbußen fanden die gestraften Städte bald wieder zu alter Größe zurück. Die neue sich herausbildende Gesellschaft konnte vom Adel nicht mehr aufgehalten werden, die Neuzeit bestimmte das Geschehen.
Während auf der VIA REGIA über ein Jahrtausend Waren und Produkte geflossen waren, Menschen im Zuge der Kolonisation ostwärts zogen, Mönche den christlichen Glauben in den Dörfern und Städten an der Hohen Straße verkündeten, streitbare Heere um materielle Werte und Macht aneinander gerieten, hatte sich in Mitteleuropa ein Prozess vollzogen, der vor allem von der Herausbildung einer neuen Staatenwelt der für immer sesshaft gewordenen Menschen und Völkerschaften geprägt war, mit neuen Machtzentren nördlich der Alpen. Es vollzog sich ein Ausgriff Europas in eine Richtung, in die auch die Via Regia führte. Der mittelalterlichen Intensivierung, dem Ausbau und der Expansion folgte eine Kräfteansammlung, die den Weg frei machte in die Entwicklung zur industriellen Revolution.

1423 war aus der Mark Meißen das Kurfürstentum Sachsen hervorgegangen. Ihm wurde 1635 - mitten im Dreißigjährigen Krieg - für rechtzeitig eingeschwenkte Kaisertreue die Markgrafschaft Oberlausitz als Lehen übergeben. Sachsen hatte damit seine Ostgrenze am Queis, angelehnt an Schlesien, um dessen Teilung sich im 18. Jahrhundert drei verheerende Kriege stritten. Die Sechsstadt Zittau wurde dabei 1757 durch Beschuss in Brand gesetzt, und erhebliche Teile der Stadt wurden in Schutt und Asche gelegt. Während der napoleonischen Kriege war jede der Sechsstädte mindestens Durchzugs- oder Aufmarschgebiet. Gemetzel überzogen das gesamte Land.
Schwer trafen die Festlegungen des Wiener Kongresses 1815 das mit Napoleons Gnaden 1806 zum Königtum aufgerückte Sachsen und den Raum der Oberlausitz. Das in Europa zur Zentralmacht aufgestiegene Preußen verlangte strategisch vorteilhaftere Grenzen zu Österreich - und bekam sie auch. Die gesamte Oberlausitz nördlich der Linie Ortrand bis zur Mündung der Wittig in die Neiße und der gesamte Raum östlich der Neiße bis an den Queis mussten an Preußen abgetreten werden. Preußen gliederte diese Teile der Oberlausitz seiner Provinz Schlesien an. Preußen wurde politisch führend im deutschen Raum. Anno 66 noch einmal kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Österreich mit der Entscheidungsschlacht bei Königgrätz. 1870/71 Krieg mit Frankreich; der preußische König krönt sich zum deutschen Kaiser. Danach zwei furchtbare Weltkriege.

Der Nachweis ambivalenter geistiger, politischer, künstlerischer und wirtschaftlicher Vitalität oft nur noch in Ruinen sichtbar, ausgelöscht, der räumliche Zusammenhang zerrissen - bis hinein in die Herzen der Menschen. Kalter Krieg und Eiserner Vorhang haben die Nachkriegszeit Europas bestimmt. Nur zaghaft entwickelten sich im Grenzland Oberlausitz Nachbarschaften, aus denen familiäre Bindungen und persönliche Freundschaften hervorgingen. Mit der EU-Erweiterung sind heute Bedingungen entstanden, die ein neues und einiges Europa möglich machen. Eine neue Generation kann sich vorurteilsfrei den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufgaben stellen.