Die Fernstraße von Marburg über Siegen nach Köln

Die Fernstraße von Marburg über Siegen nach Köln ist in zwei Straßenabschnitte gegliedert, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind.

Die Brüderstraße, der ältere der beiden Abschnitte, stellt einen klassischen hochmittelalterlichen Höhenweg dar, der in nahezu geradlinigem Verlauf bei nur wenigen Talquerungen Köln und Siegen miteinander verbindet. Die frühesten Hinweise auf Beziehungen zwischen Köln und dem Siegerland stammen aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts: 1067 stattete Erzbischof Anno das von ihm gegründete Kölner Stift St. Georg mit Ländereien in Ferndorf bei Siegen aus. Und um das Jahr 1089 wurden der Benediktinerabtei Deutz, die am End- bzw. Ausgangspunkt der Brüderstraße am Rheinufer liegt, in sieben Orten des Siegerlandes Grundstücke übereignet. In jener Zeit nimmt der Verkehr zwischen dem Rhein und dem Siegerland stark zu. Das Erzstift Köln machte seinen Einfluss vor allem über Grundstückserwerbungen geltend, und 1224 war der Kölner Erzbischof bezeichnenderweise an der Stadterweiterung von Siegen beteiligt.

Zwei frühmittelalterliche Befestigungsanlangen, die sich einst über dem Asbachtal bei Denklingen und dem Aggertal bei Overath erhoben, lassen indes vermuten, dass die Straße bereits vor der Jahrtausendwende bestand. Denn die Ringwälle befanden sich in ähnlichen topographischen Situationen über den beiden größten Geländeeinschnitten im Straßenverlauf und dürften dort Schutzfunktionen für den Weg ausgeübt haben. Für die verbreitete These, die Brüderstraße habe als Naturweg bereits in der jüngeren Eisenzeit (La-Tène- Zeit) um 500 v. Chr. bestanden, um das im Siegerland verhüttete Eisenerz an den Rhein zu bringen, finden sich hingegen keine Belege.

Die Herkunft des Namens Brüderstraße konnte bislang nicht geklärt werden. Als „alde broeder straisse“ taucht der Weg erstmals 1464 in einer Grenzbeschreibung der Grafschaft Sayn und des Herzogtums Berg zwischen Erdingen und Denklingen auf. Ein Erklärungsversuch besagt, es habe sich um eine Verballhornung des Wortes „Brücker Straße“ nach dem heutigen Kölner Stadtteil Brück gehandelt. Als solche wird der Weg 1386 in Aufzeichnungen der Abtei Deutz bezeichnet. Einer zweiten Deutung zufolge wäre die Straße nach Ordensbrüdern der Abtei Deutz und der Kölner Stifte St. Georg und St. Severin benannt, die entlang der Strecke Besitzungen hatten und für den Aufbau von kirchlichen Strukturen zuständig waren. Und drittens wird der Name auf Pilgerbrüder zurückgeführt, die nach Köln und Aachen unterwegs waren.

Der östliche Abschnitt dieses Pilgerweges wird in den Urkunden des 16. Jahrhunderts nach seinen Zielorten Marburg oder Siegen benannt. So heißt er 1557 nördlich von Holzhausen „Straße nach Marburg“ und 1592 am Stackelberg „Siegener Straße“. Ebenfalls 1592 wird er bei Herzhausen erstmals als Landstraße bezeichnet, eine Benennung, die während des 17. und 18. Jahrhunderts, häufig in Verbindung mit den Ausgangs- und Zielorten, die gängige bleiben sollte. Der Begriff „Landstraße“ umreißt ihre Stellung als eine Amtsverbindung, die rechtlich dem jeweiligen Landesherren zugeordnet war: zwischen Marburg und dem Staffelböll dem Landgrafen von Hessen, zwischen Staffelböll und dem Hainich dem Grafen von Nassau-Dillenburg, zwischen dem Hainich und Siegen ebenfalls dem Dillenburger Grafen oder in bestimmten Zeiträumen dem Grafen von Nassau-Siegen.

Wie die Brüderstraße verläuft dieser Streckenabschnitt verhältnismäßig gradlinig. Doch es handelt sich um keinen Höhenweg mehr, sonder um eine Berg- und Talstraße, die zwischen Marburg und Siegen nicht weniger als zwölft Höhenzüge zu überwinden hat. Dabei steigt die Straße am Staffelböll von ca. 200 auf 500 Höhenmeter, am Hainich, wo sie ihren höchsten Punkt erreicht, gar auf 550 Meter an. Dies setzte für den damaligen Fuhrverkehr ein großes Maß an Organisation voraus: Die Anstiege waren nur mit einem ausgefeilten System von Vorspanndiensten zu bewältigen.

Der Verkehrsweg löste ältere Verbindungsstraßen ab. Der Wandel im hessischen Wegesystem war so allgemein und durchgreifend, dass nur stärkere Einflussfaktoren dafür verantwortlich gewesen sein können, nämlich „die äußerst unruhigen und verworrenen Zeitläufte“ (Görich) seit der Mitte des 13. Jahrhunderts. Während der langen Dernbacher Fehde entstanden im Grenzgebiet zwischen Hessen und Nassau Festungsbauten, die den neuen Straßenverlauf beeinflussten. Ein signifikantes Beispiel ist die um 1325 errichtete Sperrfestung Hessenwalt auf dem Heiligen Berg nördlich des Staffelbölls (Etappe 2). Östlich der Burg dürfte sich die Wegeführung schon etwas früher herausgebildet haben. Hier sind die wehrhaften Chorturmkirchen des 13. Jahrhunderts, die uns in Dilschhausen, Obereisenhausen und Oberhörlen begegnen und eine Folgeerscheinung des Verkehrs darstellen, ein Hinweis zur Datierung.

Auffällig ist im Unterschied zu den nördlichen und südlichen Parallelverbindungen über Herborn, Dillenburg und Haiger sowie über Biedenkopf Laasphe und Erntebrück das Fehlen von Städten entlang der Straße. Dies hat allgemein zu der Auffassung geführt, dass die Verbindung über Ewersbach keine Bedeutung besessen habe. Eine häufig nachgedruckte, erstmals in den 1950er Jahren vom Landeshistoriker Karl Demandt publizierte Karte historischer Verkehrswege in Hessen unterschlägt die Route daher. 1963 konnte der Altstraßenforscher Herbert Krüger das Gegenteil belegen: Für den von ihm untersuchten Zeitraum zwischen 1500 und 1650 wies er sieben überregionale Belege für die Straße über Ewersbach nach, mehr als für jede andere Route zwischen Marburg und Köln. Die frühesten Verkehrskarten Deutschlands, die jüngere der beiden Etzlaubkarten von 1501 sowie die 1511 erstmals gedruckte Karte von Martin Waldseemüller, zeigen den direkten Streckenverlauf von Marburg über Siegen nach Köln sogar als einzige Verbindung zwischen Oberhessen und dem Rhein.

Die Verbreitung des Kölner Pfennigs zeigt, dass der Kölner Wirtschaftsraum seit dem 12. Jahrhundert ganz Oberhessen erfasst hatte. Der beschriebenen Straße kam in diesem Zusammenhang eine wirtschaftliche Bedeutung zu. Die Stadt Alsfeld handelte im 15. Jahrhundert mit Wolle in Köln. Auch Wollweber aus den Niederlanden, sogenannte Flämlinge, die in Fritzlar und Melsungen sesshaft geworden waren, nutzten diese Verkehrswege nach Köln für Handelsbeziehungen mit ihrer Heimat.

(Quelle: www.jakobus-info.de)