Der VIA REGIA-Korridor in Belgien, den Niederlanden, Nordrhein-Westfalen und Nordhessen
(VIA BELGICA, Lütticher Straße, Brüderstraße, Brabanter oder Köln-Leipziger Messestraße, E40)

Die Wegeverbindung zwischen der Nordseeküste und dem europäischen Osten ist für die Entwicklung Europas von ebensolch großer Bedeutung wie die nach Osten führenden bzw. aus dem Osten kom-menden Wegeverläufe in Nordspanien und Frankreich. Es werden Naturwege bereits in der Jungsteinzeit vermutet, auf denen über längere Distanzen Bevölkerungsbewegungen, Warenaustausch und Kriege stattfanden. Auch hier waren es dann aber die Römer, die in ihrem Herrschaftsbereich um die Zeitenwende befestigte Straßen errichteten, die noch über viele Jahrhunderte als Handelsstraßen, Pilgerwege und für Kriegszüge genutzt wurden.
Die Siedlung „Oppidum Ubiorum“, das spätere Köln, wurde im römischen Grenzgebiet vermutlich 38 v. Chr. gegründet. Im 1. Jahrhundert n.Chr. wurde die Stadt als „Colonia Claudia Ara Agrippinensium" römische Kolonie. Von hier aus wurde eine befestigte Straße von bis zu 23 m Breite gebaut, welche die Stadt mit der Atlantikküste verband. Sie führte über Jülich, Heerlen, Maastricht, Tongeren nach Boulogne-sur-Mer (Gesoriacum). Die Straße ist heute verstärkt Gegenstand archäologischer Untersuchungen und erlangt als „Via Belgica“ im Rahmen von Projekten der Euregio Maas-Rhein erneute - vor allem touristische – Bedeutung. www.baesweiler.de
In fränkischer Zeit wurden dann aber Wege nach Osten zunehmend wichtiger. Nachdem die merowin-gischen Franken vom Süden der heutigen Picardie aus bereits im 6. Jahrhundert das Königreich Thüringen erobert hatten, erweiterten die Karolinger, insbesondere im Rahmen der Sachsenkriege in der Zeit Karls d. Gr. Ihren Machtbereich ebenfalls weiter nach Osten. Die Wahrnehmung der fränkischen Herrschaftsaufgaben auf thüringisch-sächsischem Gebiet erforderte mehr und mehr die Entwicklung stabiler Wegeverbindungen zwischen den Machtzentren im Westen und den Besitztümern und Marken im Osten. Die allmählich entstehenden Wege führten auch durch Gegenden der heutigen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Hessen. Zu erwähnen ist die Bemühung Karls des Grossen, in seinem Reich ein einheitliches Straßensystem aufzubauen und zentral zu verwalten. Während der Sachsenkriege liess er z.B. den sog. westfälischen Hellweg bauen. Die Bauweise der fränkischen Straßen haben wir uns jedoch wesentlich einfacher als die der Römerstraßen vorzustellen, zum Teil nur als Knüppelwege. Die Überquerung nasser Talgründe verlangte mindestens einen dammartigen Unterbau mit Knüppelauflage, einer sog. Specke. Bei steilen Steigen verraten alte Hohlwege und Dammanschüttungen gleichfalls die ordnende Hand des Staates.
In dieser Zeit wurden durch die Erhebung von Aachen zur kaiserlichen Pfalz und die Entwicklung Lüttichs zu einem bedeutenden Bischofssitz beide Städte zu wichtigen Knotenpunkten in der Entwicklung des europäischen West-Ost-Verkehrs.

Nach dem Zerfall des Frankenreiches konsolidierten sich in den folgenden Jahrhunderten neue Machtstrukturen in Europa. Es kam zu einem Anstieg der Warenproduktion, einem allgemeinen Bevölkerungswachstum und zur Wiederbelebung bzw. Neugründung von Städten sowie zur Entwicklung von Handwerk und Handel.

Seit dem 11. Jahrhundert füllten sich ältere europäische Fernhandelswege wieder mit neuem Leben, begünstigt durch einen allgemeinen Wirtschaftsaufschwung und einer daraus resultierenden kontinuierlichen Zunahme der Anzahl Handelsreisender. Spuren solcher alten Wege finden sich im europäischen VIA REGIA-Korridor an vielen Orten noch heute als Hohlwege.

Für die Gegend am Niederrhein wurde z.B. festgestellt: „In der gesamten Grenzregion zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden und auch im Bereich der Landgraben-Route trifft man immer wieder auf solche alten Wege, die sich bis zu einer Tiefe von mehreren Metern in das umgebende Gelände eingeschnitten haben. Entstanden sind diese Einschnitte aufgrund der fortwährenden Nutzung durch Fuhrwerke, Frachtverkehr und Viehtrieb: Die starke Beanspruchung rief im Erdgrund Rillen hervor, die mit der Zeit vom Regen immer weiter ausgeschwemmt wurden. In der Aachener Region nennt man diese Wege auch 'Grachten'. Sie waren die Fernstraßen des Mittelalters. Am Dreiländerweg und in der Verlängerung nach Belgien führte später die Postkutschenstrecke von Aachen nach Lüttich. Mit dem Bau der Lütticher Straße um 1750 verfiel dieser ehemals stark frequentierte Weg.
www.grenzrouten.eu/pdf/4_-_Landgraben.pdf

Obwohl ein Großteil der Bevölkerung in dieser Zeit in Dörfern lebte, ist der überregionale Verkehr und die Rolle der Kaufleute in den Städten nicht zu unterschätzen.
Die wachsende Zahl von Fernhändlern hatte vor allem den Bedarf der Herrscher und Kirchenfürsten an Waren, die nicht an Ort und Stelle hergestellt werden konnten, zu decken. Neben dem Geschäft mit Luxuswaren organisierte der Fernhandel jedoch auch den Absatz der gewerblichen Produkte in Europa und darüber hinaus. Die in den größeren Städten lebenden Menschen konnten nur bis etwa zur Hälfte ihres Bedarfs mit den Erzeugnissen aus der direkten Umgebung versorgt werden. So kam dem überregionalen Handel eine wesentliche Bedeutung als Verteiler der in Europa produzierten gewerblichen Produkte zu. Typische Waren, die auch für die Region zwischen Niederrhein und Schelde von großer Bedeutung waren und über die Brabanter Straße gehandelt wurden, waren über Jahrhunderte vor allem Tuche, die insbesondere auch nach Mittel- und Osteuropa exportiert wurden. Zunächst waren es englische und flandrische Erzeugnisse, die in alle Teile Europas ausgeführt und für die eigene Messen und Märkte veranstaltet wurden. Im Jahre 1358 ließ z.B. der polnische König Kazimierz Wielki (Kasimir der Große) die Verkaufsstände für den Tuchgroßhandel auf dem Krakauer Markt überdachen. Andere berühmte Tuchhallen bzw. Gewandhäuser an der VIA REGIA entstanden u.a. in Brügge und in Leipzig.
Im „Gegenzug“ wurden Pelze aus Osteuropa nach Westen exportiert. Andere Handelswaren, die über die Brabanter Straße transportiert wurden, waren u.a. Wachs, Honig, Getreide, Flachs und Leinwand, die vom Osten in den Westen kamen. Der Bedarf an Rindern für die Landwirtschaft und für den Fleischverbrauch der expandierenden Städte wurde über enorme Exporte aus Osteuropa gedeckt. Aus dem Westen kamen Waffen, wie die „fränkischen Schwerter“, Edel- und Buntmetalle bis nach Kiev. Darüber hinaus war Salz ein wichtiger Ausfuhrartikel, da der Bedarf im Osten aus eigenem Aufkommen nicht gedeckt werden konnte.
Entscheidend für eine beginnende „Internationalität“ des europäischen Wirtschaftslebens waren zu jener Zeit die Knotenpunkte der Fernhandelsrouten, wo sich Händler und Kaufleute regelmäßig versammeln und ihre aus dem europäischen und orientalischen Raum mitgebrachten Waren vertreiben konnten. Die Kaufmannschaft des Mittelalters kannte eine Vielzahl solcher „internationaler“ Wirtschaftszentren, wo Handel gewinnbringend betrieben werden konnte. Ökonomisch günstige Verhältnisse boten sich ihr vor allem auf Messen und Märkten, die ständig oder zumindest periodisch an Schnittstellen bedeutender Verkehrswege Europas abgehalten wurden, und wo Händler und Kaufleute die besten Voraussetzungen dafür fanden, möglichst hohe Gewinne zu erzielen, protektioniert durch den jeweiligen Landesherrn und favorisiert durch zahlreiche Vorrechte und Vergünstigungen. Solche speziellen Markt- und Messeveranstaltungen bildeten sich seit dem 11. Jahrhundert in ganz Europa heraus und entwickelten sich in einigen Fällen in den nächsten Jahrhunderten zu regelrechten Hochburgen des Waren- und Geldverkehrs.
Insofern erlangten die Wege zwischen den Messestädten eine entscheidende Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents. Eine dieser Messestraßen, die den Verlauf des europäischen VIA REGIA-Korridors prägten, war die Brabanter Straße, abschnittsweise auch Köln-Leipziger-Messe-Straße, Brüderstraße oder Siegener Landstraße genannt, die den Status einer „strata publica“ („öffentliche Straße“) hatte. Die flämisch-niederdeutsche Stadt Antwerpen im damaligen Herzogtum Brabant erlebte im 14. Jahrhundert eine erste Blütezeit. Sie war dank des Schelde-Hafens und des Tuchhandels ein führender Handelsplatz und ein Finanzzentrum Europas. 1360 erhielt Köln Messeprivilegien. Bereits im 13. Jahrhundert gibt es erste Hinweise auf den Handel polnischer Kaufleute mit Rauchwaren und niederländischer Händler mit Tuchwaren auf den Leipziger Jahrmärkten. Kaiser Maximilian I. verlieh im Jahre 1497 beim Reichstag in Worms das kaiserliche Privileg für die Leipziger Messen.
In diese Zeit fiel die höchste Blüte der Brabanter Straße. Sie verlief von Antwerpen bzw. Brüssel über Köln – Siegen – Marburg – Eisenach (ab hier mit dem Namen VIA REGIA) – Erfurt – Naumburg nach Leipzig und von da aus weiter über Görlitz – Breslau – Krakau in den europäischen Osten. Für den hier dargestellten Streckenabschnitt zeigen die frühesten Verkehrskarten Deutschlands, die jüngere der beiden Etzlaubkarten von 1501 sowie die 1511 erstmals gedruckte Karte von Martin Waldseemüller, den direkten Streckenverlauf von Marburg über Siegen nach Köln als einzige Verbindung zwischen Oberhessen und dem Rhein. www.jakobus-info.de/jakobuspilger/bilder4.htm

Der Wegeverlauf in Richtung Osten ist öfter ausführlich beschrieben. In der Literatur findet man von Liège (Lüttich) nach Eisenach folgende Streckenführung: Liège – Beyne-Heusay - Fléron - Micheroux - Fecher - Herve - Battice - Clermont - Henri-Chapelle - Kelmis - Neu-Moresnet - Bildchen - Aachen - Kornelimüster - Vicht - Schevenhütte - Düren - Kerpen - Köln – Brück – Overath – Drabenderhöhe – Denklingen (Reichshof) – Crottorf – Freudenberg – Siegen - Niederdielfen - Irmgarteichen - Ewersbach - Niedereisenhausen – Diedenshausen - Marburg - Amöneburg - Kirchhain - Stadtallendorf - Schwalmstadt - Treysa - Ziegen-hain - Spieskappel - Frielendorf - Homberg/ Efze – Dagobertshausen - Melsungen - Spangenberg - Waldkappel - Wichmannhausen - Röhrda - Netra - Creuzburg – Eisenach.

Darüber hinaus findet man aber andere Darstellungen, die für einzelne Abschnitte andere Verläufe erwähnen. Hier wird noch zu untersuchen sein, inwieweit es sich dabei um Parallelwege handelte, die z.B. abhängig von Jahreszeiten oder Wetterlagen alternativ benutzt werden konnten oder inwieweit es sich hier um zeitlich versetzte Wegeführungen handelte, die sich z.B. aus längeren kriegerischen Auseinandersetzungen, politischen Machtwechseln, wirtschaftlichen Entwicklungen von Städten oder Re-gionen ergaben. Von Bedeutung ist vor allem auch, dass im Laufe der Geschichte die ursprünglichen Höhenwege in Talniederungen verlegt wurden und sich damit selbstverständlich Wegeverläufe erheblich veränderten.
Die Brüderstrasse stellt z.B. einen klassischen hochmittelalterlichen Höhenweg dar, der in nahezu geradlinigem Verlauf bei nur wenigen Talquerungen Köln und Siegen miteinander verband.
Eine wesentlich andere Wegführung wird von Köln aus über Weyerbusch - Altenkirchen - Ingelbach – Müschenbach - Hachenburg - Kirburg - Hof - Salzburg - Driedorf - Roth - Herborn - (Alt-)Dernbach - Bicken – Bischoffen - Niederweidbach - (Gladenbach oder) - Rollshausen - Niederweimar - Marburg - Amöneburg – Niederklein - Lehrbach - Kirtorf - Ohmes - Hersfeld – Erfurt dargestellt.
„Über die Brücker Mühle östlich von Amöneburg wurde schon im Mittelalter die Ohm überquert. Sie war bereits in historischer Zeit ein wichtiger Ohmübergang und wurde erstmals 1264 als Steinbrücke auf dem alten Handelsweg Köln-Leipzig erwähnt. Alte Grenzsteine weisen den weiteren Weg durch Niederklein vorbei am Sälzerkreuz, über Lehrbach und die alte Kirschbrücke. Im Lehrbacher Wald passierte der Fernweg den sog. "Kirchenstumpf", den letzten Rest der Ortswüstung Folkartshain, und führte weiter nach Kirtorf. www.altstrassen-in-hessen.de/altstrassen/koeln-leipziger.html

Im hessischen Abschnitt der Köln-Leipziger Straße wird zwischen Ewersbach und Marburg neben dem oben erwähnten Weg auch ein Verlauf über Steinbrücken – Simmersbach – Hirzenhain – Angelburg – Hülshof – Rachelshausen – Ammenhausen – Willershausen – Hermershausen – Ockershausen beschrieben de.wikipedia.org/wiki/Bad_Endbach#Historische_Stra.C3.9Fen_und_Wege

Parallel zur wirtschaftlichen Bedeutung der Straße entwickelte sie sich zu einem international stark frequentierten Pilgerweg. Das Grab des Heiligen Lambertus in Lüttich, die berühmten Reliquien im Aachener Dom, die Gebeine der Heiligen Drei Könige in Köln und das Grab der Heiligen Elisabeth in Marburg waren wichtige Stationen auf den mittelalterlichen Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela zum Grab des Hl. Jakobus d.Ä. „Aachen galt als eine der wichtigsten Stationen am Pilgerweg nach Spanien, vor allem für die Anbindung slawischer und ungarischer Christen, die von den östlichen Grenzen des 'Orbis Christianus' kamen, um an der Gnadenfülle der Heiltumsweisung und des Apostelgrabes in Santiago teilzunehmen. Ein frühes Zeugnis für die Anwesenheit von Ungarn auf dem Pilgerweg nach Spanien befindet sich in der St. Albanskirche in Namur, wo für 1212 das Grab eines ungarischen Bischofs belegt ist, der dort auf dem Weg nach Compostela verstarb.
www.jakobus-info.de/ultreia/maas/mitte/mittetext1.html

Heute erhält der Pilgerweg von Marburg nach Köln/ Aachen seine Bedeutung durch die Einbindung in eine Ost-West-Verbindung, die im Netz europäischer Pilgerrouten quer durch Deutschland von Görlitz bis Aachen führt. ebd.

In Polen ist der Pilgerweg inzwischen als Camino VIA REGIA bis Góra Świętej Anny (St. Annaberg) verlängert worden. Und von Aachen führt ein durchgängiges Leitsystem durch Belgien und Frankreich nach Santiago de Compostela.

Seit dem 16. Jahrhundert erfolgte durch eine zunehmende Verunsicherung der Straßen ein allgemeiner Niedergang sowohl des Fernhandels als auch des Pilgerwesens. Durch die zahlreichen Strafpilgerfahrten, die inzwischen als Instrument weltlicher Gerichtsbehörden eine ausgesprochene Blütezeit erlebten, wurden Tausende Verbrecher auf die Pilgerstraßen in Europa geschickt. Außerdem führte die „peregrinatio delegata“ dazu, dass z.B. Bettler ein Geschäft daraus machten, für andere Auftraggeber gegen Lohn Bußfahrten zu tun. Diese freiwilligen und unfreiwilligen Pilger begegneten auf den Straßen Scharen arbeitsloser oder nur saisonbeschäftigter Landstreicher und einer wahren Heerschar von Bettlern. Eine Unterscheidung der sich aus den verschiedensten Motiven auf der Straße Befindenden wurde immer schwieriger. Hier setzte der Niedergang des Pilgerwesens ein. Hinzu kamen die protestantischen Reformationen. Pilgerreisen und Wallfahrten, die mit Ablass verbunden sind, waren für Luther „Narrenwerk“. Allein aus Glauben komme ein Christ zu Gott und nicht durch das „Geläuf“, wie er das Pilgern abschätzig bezeichnete. "Lauf nicht dahin, man weiß nicht, ob Sankt Jakob oder ein toter Hund daliegt", spottete er über den Pilgerweg nach Santiago de Compostela.
Seit 1568 verunsicherte der Spanisch-Niederländische Krieg die Lebensverhältnisse in den westlichsten Provinzen des Reiches, wie z.B. während der „Aachener Religionswirren“ in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts…

In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts brachte der Dreißigjährige Krieg im gesamten Land weitgehend jede weitere wirtschaftliche Entwicklung zum Erliegen. Im Westfälischen Frieden erlangte die Republik der Vereinigten Niederlande ihre formelle Unabhängigkeit von Spanien, was u.a. zu einer Trennung vom „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ führte. Im Reich verblieben die Spanischen Niederlande und das Erzbistum Lüttich, vom Kern her also die Gebiete des heutigen Belgien. Eine Bestimmung des Westfälischen Friedens von 1648 legte aber fest, dass die Schelde nicht mehr als Schifffahrtsweg genutzt werden durfte. Das brachte das Ende des damals schon bedeutenden Hafens von Antwerpen mit sich, was nicht nur für die Stadt, sondern für den gesamten Handel auf der Brabanter Straße schwerwiegende Beeinträchtigungen hervorrief.

Wenn auch das Herzogtum Brabant längst erloschen und mit Limburg und Luxemburg 1477 an das Haus Habsburg gefallen war, so gelangte die Straße, die einst diesen Namen trug, im 18. Jahrhundert zu erneuter Bedeutung. Das ist wesentlich verbunden mit dem Aufstieg Lüttichs als Wiege der kontinentaleuropäischen Kohle- und Stahlindustrie zur modernen Wirtschaftsmetropole. Bereits 1720 hatte die erste Dampfmaschine auf dem europäischen Festland in einer Kohlemine nahe Lüttich ihren Betrieb aufgenommen. 1799 installierte William Cockerill in Verviers die erste Woll-Spinnmaschine des Kontinents und begründete eine boomende Textilregion. Von hier aus breitete sich die Industrialisie-rung über den gesamten Kontinent aus.

Mit dieser Entwicklung ging die Erkenntnis einher, dass die Förderung von Handel und Gewerbe wesentlich mit dem Vorhandensein eines modernen Straßennetzes verbunden ist. 1693 hatte der französische Straßen- und Wasserbauingenieur Henri Gautier sein Werk „Traité de la Construction des Chemins“ veröffentlicht, in dem er die ingenieurtechnische Planung und Ausführung von Landstraßen mit einem Unterbau und fester Fahrbahndecke vorstellte, die in Frankreich Chausseen, in Deutschland Kunststraßen genannt wurden. Wegen des stabileren Unterbaues und der glatteren Oberfläche verkürzten sich auf diesen neuen Straßen die Fahrzeiten erheblich, außerdem konnte ein Pferdefuhrwerk auf einer Chaussee die dreifache Last gegenüber dem Transport auf den bis dahin üblichen Naturstraßen bewegen.

Erste Versuche, die Verkehrsinfrastruktur technisch zu modernisieren und den ökonomischen Notwendigkeiten anzupassen, stammen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. 1750 beschloss der Rat der Stadt Aachen, eine Chaussee, Steinweg genannt, zwischen Aachen und Lüttich anzulegen. 35 Jahre später wurde eine Chaussee nach Maastricht gebaut. Zur gleichen Zeit verband das Herzogtum Limburg die Textilstadt Eupen über eine Fernstrasse mit Frankfurt, um das Rheinland zu umgehen. Es fehlten jedoch der einheitliche politische Wille und die finanziellen Ressourcen, um das Straßennetz nachhaltig auszubauen. www.industriemuseen-emr.de/industrialisierung/verkehr/kapitel_2.html
Dies traf nicht nur auf die Gegend um Aachen, sondern letztendlich auf das gesamte Land zu, sodass der Chausseebau in Deutschland im 18. Jahrhundert nur wenig voran kam.

Wenn auch nach den napoleonischen Kriegen vor allem vom Königreich Preußen der Chaussebau zunächst intensiv vorangetrieben wurde, so schien die Erfindung und der Bau von Eisenbahnen die Bedeutung des Straßenwesens als eines wesentlichen Trägers jeder gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung zu beenden. Zudem hatten politische Veränderungen dazu beigetragen, dass sich Verkehrsströme im europäischen VIA REGIA-Korridor in andere Richtungen entwickelten. Die nachfolgenden politischen Ereignisse und die beiden Weltkriege schienen auch in diesem westlichen Abschnitt des VIA REGIA-Korridors die völkerverbindende Bedeutung der Straße für immer zu beenden. Aachen war bis zur französischen Besatzung 1794 - 1815 freie Reichsstadt. Durch den Wiener Kongreß 1815 wurde der linke Niederrhein preußische Provinz und Aachen Sitz eines Regierungspräsidiums innerhalb der Rheinprovinz. Mit dem Erwerb der rheinischen Gebiete wurde Preußen zum „Schutzwall“ gegen Frankreich, das noch immer den Rhein als Grenze zu Deutschland anstrebte.

Die Stadt Lüttich war Mittelpunkt des souveränen gleichnamigen Fürstbistums. Die Souveränität erlosch auch hier mit dem Einmarsch der französischen Revolutionstruppen. Durch den Wiener Kongreß 1815 wurde das Fürstbistum mit anderen Gebieten dem neuen Königreich der Niederlande zugeschlagen. 1830 kam es im Ergebnis der Revolution in den katholischen südlichen Niederlanden zum neu gegründeten Königreich Belgien. Bis zum Niedergang der Montanindustrie war die Region um Lüttich das „Ruhrgebiet Belgiens“.

Das Herzogtum Limburg löste sich 1830 ebenfalls auf und wurde je eine Provinz in den Niederlanden und in Belgien. Somit waren die heute noch bestehenden Staaten und Nationen entstanden. Eine letztmalige Änderung der Grenzen erfolgte nach dem Ersten Weltkrieg, als durch den Versailler Vertrag das bis dahin reichsdeutsche Gebiet um Eupen und Malmedy dem Königreich Belgien als Ostkantone zugeschlagen wurde.

Durch diese politischen Neugliederungen des Aachener Raumes verloren Stadt und Region ihr westliches Umland und ihre günstigen verkehrsmäßigen Anbindungen.

Erst die Europäische Union hat diese Grenzen wieder offen gemacht. Die “Euregio Maas-Rhein” knüpft heute wieder an die alten Beziehungen an. Nach der politischen Wende in Mittel- und Osteuropa und nach der (Ost-)Erweiterung der Europäischen Union ist es darüber hinaus nach Jahrhunderten wieder möglich, den VIA REGIA-Korridor in seinem gesamten Verlauf von der Atlantikküste in den europäischen Osten als Sinnbild der Vielfalt und Einheit europäischer Kultur und Geschichte wieder zu erfahren und zu erleben.

Möglich ist das z.B. mit Reisen auf der E 40. Diese längste Europastraße beginnt im französischen Calais, etwa 30 km vom Endpunkt der römischen VIA BELGICA entfernt und führt im uralten VIA REGIA-Korridor über Brugge (Brügge) – Gent – Bruxelles (Brüssel) – Liège (Lüttich) - Aachen – Köln – Siegen – Bad Hersfeld – Eisenach – Erfurt – Bautzen – Görlitz – Legnica - Wrocław (Breslau) – Opole (Oppeln) - Kraków (Krakau) - Tarnów - Rzeszów - Przemyśl – Городок (Gorodok) – Львів (Lemberg) - Броди (Brody) – Дубно (Dubno) - Рівне (Rivne/ Rowno) - Корець (Korez) - Новоград-Волинський (Novograd-Wolynskij ) - Житомир (Zhytomyr) nach Київ (Kiev) und von hier aus weiter analog der alten Seidenstraße bis an die chinesische Grenze in Kirgisistan.

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