Reisebericht eines anonymen Kaufmanns (1522 )

Vom 14. bis 16. Jahrhundert erlebte Erfurt eine wirtschaftliche Blütezeit. 1331 erhielt die Stadt das Meßprivileg und betrieb ausgedehnten Handel mit der blauen Farbpflanze Waid. Der Bericht eines anonymen Kaufmannes zeigt die Schwierigkeiten der Handelsreisenden auf.

Auf der breiten Landstraße, die von Erfurt aus über Wundersleben, Weißensee, Kindelbrück nach dem Sachsenburger Engpaß und weiterhin nach dem norddeutschen Tiefland läuft, bewegt sich an einem Spätsommertage des Jahres 1522 ein stattlicher Warenzug. Nicht weniger als 27 zweiräderige Karren zählen wir, die von 54 kräftigen Gäulen gezogen und von rüstigen Knechten geleitet werden. Die Güter wurden in Hamburg für Rechnung einiger Nürnberger Handelsherren verfrachtet: als Fuhrleute sind meistens Henneberger Landeskinder, die unternehmendsten Blaukittel weit und breit, gedingt worden, und als Hauptmann ist Herr Kaspar Ulrich, selbst ein Nürnberger Fuhrherr, über uns gesetzt.

Menschen und Pferde sind müde von der weiten, heute zurückgelegten Strecke längs der sumpfigen Geraaue: doch müssen alle Kräfte angespannt werden, um noch bei Tageslicht die Erfurter Stadtmauer zu erreichen. Schon steht die Sonne tief am Himmel; sie glänzt auf dem Dache von Unserer lieben Frauen und von St. Sever, die sich scharf vom südwestlichen Himmel abheben. Ringsum dehnen sich reifende Getreidefelder aus, dazwischen sind weite Strecken mit den grünen Blattrosetten des Waids bedeckt. Die Ausläufer der Fahnerschen Höhe, die bis nahe an die Stadtmauer nach der Gera zu abfallen, und die Abhänge des Petersberges umgrünen üppige Weinberge. Jetzt hebt sich das mehrtürmige Johannistor deutlich vom Mauerring. Von Nordwesten her mündet die Nordhäuser Straße ein in unseren Weg; sie führt manchen Kaufmannszug - einzelne Karren und ganze Gesellschaften - dem gleichen Ziele zu: der vieltürmigen, weitberühmten Thüringer Handelsstadt Erfurt. Dicht vor dem Tor wird das Gedränge noch merkbarer; ein Trupp Gewappneter, die den Erzbischof von Magdeburg über den Thüringer Wald geleiten wollen, hat uns überholt. Voraus reitet der sächsische Obergeleitsmann mit dem weißen Stabe im Namen seines Herrn, des Kurfürsten. Sie dürfen zuerst das Tor passieren. Dann muß der Hauptmann unseres Zuges die „Politen“ vom letzten Geleitsort vorweisen, und endlich rollen die schwerfälligen Karren durch das mächtige Torgebäude.

Aber noch ist den müden Reisenden keine Ruhe gegönnt. Zwar ziehen die Pferde, die wohl wissen, dass ihrer ein warmer Stall wartet, nach Kräften vorwärts, fast zu rasch für unser Verlangen, die Auslagen der Kaufmannsgaden: Tuch und Leinen, Schuhwerk und „essende Ware“, vor allem aber die tausenderlei Arten fremdländischer Kostbarkeiten der Krämerbrücke in Augenschein zu nehmen; wir aber müssen uns schleunigst nach dem Überschreiten dieses einzigartigen Bazars rechts wenden, der Michaelisstraße zu. Hier stehen die weiten Hallen des städtischen Kaufhauses, der Wage, wo unsere Nürnberger eine geräumige Kammer in fester Pacht zum Niederlegen der Waren haben. Diesmal soll nur ein Teil des Guts zum Verkauf abgelagert werden: der würdige Wagemeister empfängt uns am Tore und weist seine Knechte an, die betreffenden Karren abzuladen. Je nach seiner Art kommt das Gut auf eine besondere Wage: unser wertvolles Mansfelder Kupfer auf die Sinderwage, ebenso die weiche Braunschweiger Wolle. Zwei unserer Karren enthalten „Krämerware“, die seewärts nach Hamburg eingeführt und von dort von uns verfrachtet wurde: Zinn, Salpeter, Weinstein; dann Südfrüchte, wie Rosinen, Feigen, Datteln, Mandeln und ähnliche teuere „Pfennigware“. Auf alles das wird das „Ungeld“, die Verkaufssteuer, gelegt zum Besten des Stadtsäckels. Die Ladung der übrigen Karren brauchen wir nur anzusagen und danach zu verzollen, weil wir häufige Gäste in Erfurt und dem Wagemeister als gewissenhafte Handelsleute, die kein „verschwiegen Gut“ führen, bekannt sind.

Endlich ist uns der Weg zur Herberge vergönnt, wir kehren im Gasthaus zum Propheten ein. Die Knechte führen die müden Gäule in die Ställe, die trotz ihrer Geräumigkeit schon halb gefüllt sind. Mit uns zugleich ist nämlich noch ein langer Zug Salzkarren aus dem weltberühmten Frankenhäuser Salzwerk eingetroffen. Trefflich schmeckt uns die kräftige Abendkost: derbes Erfurter Brot, Speck und wohlschmeckender „Bolz“, ein Gemüsebrei. Dazu bringt der Wirt eine Setzkandel nach der anderen voll dunkler Erfurter „Schiunze“. Wir lassen uns das prächtige Braunbier munden, während die Stube sich immer mehr füllt. Wohl jeder blaukittelige Fuhrmann hat ein Abenteuer zum besten zu geben. Weitgereiste Gesellen, die bis zur Nordsee die Straße bauten, sind darunter; sie erzählen von der Pracht der Hansastädte, den Irrfahrten im nebeligen Wendenland. Andere können nicht genug berichten von den Wundern des Südens; sie haben sogar den Brennerpaß überschritten, kennen die Herrlichkeiten Venedigs und Mailands.

Wir Nürnberger trafen Geschäftsfreunde aus Frankfurt und Antorf (Antwerpen); sie kamen die Hohe Straße von Eisenach her und wollen zur Messe nach Leipzig. Da morgen Markttag ist, tauchen auch schon einzelne Waldleute auf, die ihre Waren: Kohlen, Holzgerät aller Art, Kienruß, auch Flachs und dergleichen, hereinbrachten. Von ihnen erfahren wir, dass sich unsere Absicht, über Arnstadt, Gehren, weiter über Unser Frauen auf dem Walde und Heubach nach Coburg zu fahren, nicht wird ausführen lassen. „Denn“, so sagten die aus Gräfinau, „die Frauenstraße ist verhauen. Zwischen Ilmenau und dem Rennsteig liegt mehr als ein Schlagbaum mit Landwehr und Gräben. Wächter stehen dort Tag und Nacht und lassen niemand durch, wegen der Kriegsläufte. Die Waldstraße über den oberen Hof soll noch offen sein; so berichtete uns ein Ohrdrufer Bürger. „Doch müßt ihr zeitig aufbrechen, um Crawinkel vor Abend zu erreichen; es schwärmen verdächtige Gesellen im Walde landeinwärts!“

So legen wir uns bald zur Ruhe, denn nun heißt's, bei Tagesanbruch die leeren Karren füllen und weiterziehen!

Beim ersten Frühlicht bezahlen wir die Zeche; dann eilen die Knechte, die Kübel mit Waidballen, Erfurts vornehmster Handelsware, auf die Karren zu laden. Der reiche Kaufherr Michael Flaschenschmied hat sie uns geliefert.

Geleitsgeld im sächsischen Geleitshof, die Steuer für Instandhaltung der Straße, gleichzeitig Schutzgeld, haben wir als Nürnberger nur zur Hälfte zu bezahlen. Gewissenhaft schreibt der Oberbeamte unsere Namen und Waren in sein schweres, in solidem Lederband haftendes Geleitsregister: Ditzel Sommer aus Breitenbach: 700 Lammfelle; Albrecht Sommer aus Breitenbach: 17 Tonnen Honig; Hans Metz aus Schleusingen: 12 Zenter Salpeter, 2 Zenter Stahl; Jacoff Zink aus Mehlis; 4 Karren Korn; Hans Döring aus Suhla: 2 Karren Glas; Heinz Exerer aus Nürnberg: 45 Zentner Wolle; Peter Schlegel aus Heinrichs: 72 Zentner Blei; Balthasar Kohlführer aus Schleusingen: 3 Karren Heringe. Dazu die 2 Karren mit Waidkübeln, geführt von Wolf Geyer aus Gießhübel. Der Waidzoll ist schon vorher entrichtet, fertig geschirrt stehen Pferde und Karren; so setzt sich der stattliche Zug wieder in Bewegung. Rasch geht's über den freien Platz vor den Graden am Fuße der Domhöhe, wo der Mittwochmarkt schon in vollem Gange ist. Das Brühler Tor dürfen wir passieren nach Vorweisung der Geleitszettel. Draußen auf der hohen Landstraße fehlt es nicht an bunter Abwechslung. Schwere Flamsbacher Lastwagen, von 4 und mehr Pferden gezogen, bewegen sich gemächlich der Stadt zu; leichtere Karren der Wäldler eilen an uns vorüber; kleine Händler bringen ihre selbstgearbeitete Ware, geschnitzte Löffel, Mulden und dergleichen, auf Schiebekarren oder Reffen zum Markt. Steil steigt die Hohle an zur Seite des Berges, der das Kloster St. Cyriaci trägt. Dann geht's leichter bergab bis Schmira, wo wir die hohe Landstraße verlassen und südlich abbiegen, den Waldbergen zu. Wieder führt unser Weg durch eine tiefe Hohle bis gegen Ingersleben, wo der Frankenweg, der von Herbsleben kommt und weiter gen Arnstadt läuft, unsere Straße kreuzt. Zwischen Rebenhügeln windet sich unser Zug durch - der Rote Berg bei Ingersleben trägt den besten Wein weit und breit - und Weingärten senken sich auch von den Hängen des Höhenzuges, dem unsere Straße sich zuwendet.

Zunächst heißt es aber, die Apfelstädt durchschreiten! Nach dem austrocknenden Wetter der letzten Sommerwochen ist dies nicht allzu schwierig. Schwerfällig holpern unsere Karren über die unregelmäßigen, massigen Geröllbänke, die das in Frühlingszeiten gar wilde Flüßchen vom Thüringer Walde herführte. Das Dörfchen Apfelstädt umgehen wir, auch das stattliche Wandersleben bleibt westlich liegen. Unser nächstes Ziel sind die beiden stolzen Burgen: zunächst das Haus Gleichen, dann die erfurtische Feste Mühlberg. Im Kretschmar unter der Gleichenschen Burg wird gerastet; manches Stübchen Thüringer Weins bringt die Wirtin in die kühle Schenkstube. Weiterhin wendet sich der Weg in tief ausgefahrenen Gleisen um den Berg. Unfahrbar sumpfig soll die Straße hier sein, wenn die Frühjahrsregen den ohnehin moorigen Boden in weite Schlammlachen verwandelten. Heute schreiten die Gäule tapfer aus; das reiche Dorf Mühlberg ist bald durchfahren. Trotzig schaut der feste Bergfried der Mühlburg zu uns hernieder, und ebenso stolz gesichert hebt sich weiter im Osten der Kegel heraus, der die Feste Wassenburg trägt. Bald begegnen wir an der belebten Kupferstraße, die von Ohrdruf nach Arnstadt, von Hammerwerk zu Hammerwerk läuft, der alten Kapelle zum heiligen Kreuz. Verlassen steht das Kirchlein, denn wenige sind in der Gegend, die den Heiligen und dem Papste noch anhangen.

Bald ist die Horst überschritten, und dann geht's nochmals steil bergan durch herbstlich bunten Laubwald - wohl eine Stunde. Da stehen wir auf windumrauschter Höhe an der weitbekannten Schenke des Tambuchshof. Wir rasten hier — nicht nur um den müden Gliedern Ruhe zu gönnen, sondern auch um einen Blick zu werfen auf die glücklich überwundene Wanderstrecke und das nahe Ziel vor uns. Weit im Nordosten dehnt sich der Eichwald der Wawet, die uns Erfurt mit seinen Türmen und Zinnen verdeckt. In aller Nähe winken die drei Burgen herüber, und ringsum liegt im Abendschein das gesegnete Land des Erfurter und Arnstädter Gebietes. Und vor uns welch ein echt Thüringer Bild! Dorf an Dorf hebt sich an schützendem Buschwerk.. Drüben im Westen das ehrwürdige Ohrdurf, die hohe Abtei des Klosters Georgental. Als Abschluß aber die herrliche Linie der Loiba, schon im Abendschatten. Dorthin leitet unser Weg für morgen.

Auf steinig-rauhem Wege rasseln die Karren nun steil abwärts, der Crawinkler Herberge zu. Gastlich nimmt uns beim Läuten der Abendglocken das Dorftor auf, und bald sitzen wir Fuhrleute auf den Bänken der geräumigen Gaststube beim guten Ohrdrufer Bier, während draußen ein spätes Gewitter vorüberzieht. Ganz verschieden von den städtischen Zechgästen in Erfurt sind die Gestalten, die hier teils auf Bänken liegen, teils an den festen Eichentischen sitzend sich's erst bei Mehlklößen und Kraut wohl sein lassen und dann nach den Karten greifen oder den Schwanken eines fremden Gesellen zuhören. Es sind die wanderlustigen „fahrenden Leute“ der „Waldsaumstraße“, die von Ilmenau herüber bis ins Eisenachsche immer längs des Waldes läuft. Der stämmige Mann im weißen Kittel ist ein Olitätenhändler aus dem Schwarzatal. Seine Kiepe enthält manches kräftige Tränklein, Theriak und Wundbalsam, daneben wirksame Salben und Kräuter wider das Behextwerden. Zwei böhmische Glaswarenhändler sitzen abgesondert in einer der tiefen Fensternischen; sie führen wunderschöne Trinkgläser und Glastruhen, sowie Schmuckkästchen mit eingeschliffenen Figuren. Die anderen Gäste sind Wäldler; und „Waldwerk“: Holzwaren, auch bunte Töpferwaren aus Waltershausen und kunstvoll gewebtes Leinengebild tragen sie auf ihren Reffen oder in Tragkörben oder fahren es auf Schubkarren durch ganz Thüringen und weiterhin. Auch zwei Bäuerinnen sind dabei, Frauen von Gosseler Fuhrleuten. Sie handeln mit allerhand Südfrüchten, die ihre Männer auf eigene Rechnung aus der Ferne mitbrachten, wie Zitronen, „Äpfel von China“ (Apfelsinen), Rosinen in „Zöpfen“, Johannisbrot.

Auf der Gasse wird es noch einmal lebendig. Ein langer Zug Fuhrmannskarren, die durch das Gewitter unterwegs aufgehalten wurden, langt an. Es sind lauter Henneberger Weinfuhrleute aus Benshausen, Biernau, Schwarza usw., die Frankenwein führen. Da gibt's ein fröhliches Begrüßen unter uns Landsleuten. Bis spät abends sitzen wir zusammen und lassen uns erzählen aus der Heimat, die wir in Frühlingszeiten verlassen haben.

Früh schon ruft uns der Wirt heraus, denn nur bis Mittag steht uns die enge Crawinkler Hohle, in der es kein Ausweichen gibt, offen. Wer später von Lande her nach Crawinkel kommt, muß bis zum nächsten Tage liegen bleiben, denn von mittag ab fahren die Fuhrleute vom Oberen Hof dem Hohlweg entgegen.

Schon abends vorher haben wir uns Vorspannpferde gesichert, von denen hier stets viele zu haben sind, je eines oder zwei vor jeden Karren, je nach dem Gewicht der Fracht, und wir merken bald, wie nötig nachhelfende Kräfte sind.

Anfangs steigt die Straße in weitem Bogen allmählich an; viele tiefe Geleise, teilweise mit Steinen ausgefüllt, verraten, dass wohl schon durch viele Jahrhunderte Menschen über die Berge zogen. Jetzt aber wendet sich der Weg östlich; uns umfängt Dämmerung trotz des hellen Sonnenscheins draußen im Land. Zwischen himmelhohen Felswänden ist diese „Kniebreche“ eingeschnitten, ausgewaschen von den schmelzenden Schneefluten im Frühling, den Gewittergüssen im Sommer. Üppige Farnwedel hängen über die Moospolster aus den Felsenritzen; wo ein Vorsprung ragt, erhebt sich die Königin der Waldblumen, der kraftvoll-schlanke Fingerhut mit den purpurroten Blüten.

Keuchend legen sich die Pferde in die Stränge; trotz der kalt-feuchten, kellerartigen Luft dampfen sie vor Anstrengung. Wir helfen mit aller Kraft in den Speichen nach; weithin schallt das Knallen der Peitschen, die anspornenden Rufe der Fuhrleute. Endlich weitet sich die Schlucht, und wir können uns ein wenig Rast gönnen.

Wieder teilt sich die Straße in wohl fünf Hohlen, wie Wegbeschaffenheit und Menge der Fuhrwerke es im Laufe der Zeit mit sich brachte. Wohl eine Stunde keuchen wir so bergan. Mehr als einmal stürzt ein Pferd samt dem Karren in den tiefen Radspuren; dann gilt es, vielfachen Vorspann nehmen, um das Geschirr wieder flott zu bringen.

Endlich ist der „Hof“, ein waldeinsames Wildhüterhaus, erreicht, wo wir wenigstens eine Kanne Dünnbier zu unserem Frühstücksbrot bekommen und die Pferde füttern können. Auf dieser „Wegscheide“ laufen vier Waldstraßen zusammen: die vom Oberen Hof, die Schwarzwälder Straße, der Diebsteig von Frankenhain und unser Crawinkler Steiger. Kein Wunder, dass die Krippen vor der Haustür von früh bis spät besetzt sind!

Neue Schwierigkeiten erwarten die Gespannschaften beim Weiterfahren, denn nun beginnt das sumpfige Gelände der Hochmoore. Zwar sollen die schlechtesten Stellen alljährlich mit Brettern und Knüppeln „gebrückt“ werden, aber damit wird gemeiniglich gewartet, bis ein großes Lustjagen in Aussicht ist. Oftmals sinken die Räder bis an die Achsen in den Sumpf, legen sich auf die Seite, und weder Fluchen noch Peitschenhiebe bringen das Gefährt vorwärts. Wie froh sind wir, da nun der stattliche Geleitshof des Oberen Hof, umgeben von den einstöckigen, grauen Schindelhäuschen des Dörfchens, auftaucht. Hier geht's lebhaft zu! Schon stehen die Kärrner aus Suhl, auch solche, die den Beiweg über den Kalten Markt heraufkamen, bereit zum Abfahren. In der Haustür heißt uns der liebe Geleitsmann und Herbergsvater Fritz Putz willkommen, und wir erlegen nach der Geleitstafel, die im weiten Hausern ausgehängt ist, unsern Zoll.

Und nicht genug können wir uns wundern, wie niedrig der Mann das Geleitsgeld berechnet; nicht nur dürfen wir in altem statt, wie sonst üblich, in neuem Gelde bezahlen, sondern er läßt uns auch von jedem Karren zwei Pfennige ab. Da werden wir gewiss künftighin stets diese Straße wandern und nicht wieder über Frauenwald oder Gehren den Weg nehmen.

Die Mühsal des steilen Anklimmens ist für diesen Tag überwunden; doch wir wissen, dass uns der Abstieg nach Suhl neue Gefahren bringt. Darum bitten wir den Weghalter, der neben dem Geleitshof wohnt und dem die Ausbesserung der Straße übertragen ist, um Klapperstecken, die wir bergab zwischen die Speichen stecken wollen, das zu rasche Umdrehen der Räder zu hemmen. Doch dafür ist der Mann nicht zu haben. „Ist nicht meine Schuldigkeit“, sagt er barsch, „sehet, wie ihr euch selbst helfen möget.“ So bleibt uns nichts anderes übrig, als dass einige von uns in der Nähe des Harzwäldchens abseits der Straße in den Wald steigen, junge Tannen abschneiden und sie als Schlaufreiser hinten an die Geschirre binden. Wir beschweren sie beim Abstieg mit großen Steinen oder Holzblochen und sind dann wenigstens einigermaßen gesichert. Mit frischem Mute geht es über das Rasenplätzlein zum Rennsteig. Hier betreten wir wieder alt-hennebergischen Boden; jeder Marktbaum, jeder Stein der Suhler Loibe ist uns bekannt. Da weitet sich der Buschwald zu einem freien Platze, der „Crawinkler Ausspann“. Es gilt, die Vorspannleute abzulohnen, die stracks wieder heimreiten. Ein Platz zum Rasten ist es! Wer die steile Leubenstraße von Suhl herauf überwunden hat, dankt seinem Schöpfer; aber auch uns geziemt wohl ein Gebet vor den zwei eichenen „Heiligen Stöcken“, ehe wir den halsbrechenden Abstieg wagen. Zitternd und angstvoll stemmen sich die Gäule gegen die schweren Karren; sie kennen die schon oft gefahrene Straße und wissen, dass ein Fehltritt in eines der zahlreichen tiefen Löcher ein Umfallen oder Überschlagen des Karrens und für sie schwere Wunden oder wenigstens Peitschenhiebe bedeutet.

Aber diesmal haben wir Glück, und die Schleifreiser tun ihre Schuldigkeit; zwar unter reichlichem Stolpern, manchem „Hief!“, Zurückzerren und Indiezügelfallen langen wir beim Abendschein im Tale an. Heimatlich rauscht uns die Lauter den Willkommgruß zu. Vom Domberg, dem Bock und dem Dellberg ziehen die Bergleute in Scharen heim; mancher gehört zur Freundschaft und wird freudig begrüßt. Aus mehr als einem Hochofen sprühen die Funken zum Abendhimmel. Ringsum noch eifriges Hämmern, Schmieden und Feilen; denn kaum zu bewältigen sind die Bestellungen auf Hakenbüchsen, Musketen, Harnische und Beinschienen, die aus aller Welt einlaufen.

Gastlich steigt der Rauch aus mancher Esse, da wir zum Tor des Fleckens einziehen - müde und hungrig, aber froh, Heimatboden unter den Füßen zu haben.

Morgen soll's dann, beliebt es Gott, über Schleusingen gehen, dem Main zu. Nur kurzen Abschied gilt es; denn in wenig Wochen, wenn wir die Kaufmannswaren ohne erlittenen Schaden nach der freien Stadt Nürnberg abgeliefert haben, hoffen wir heimzukehren für den Winter bis zu neuer Ausfahrt in der Frühlingszeit!

Quelle: „Von Thüringer Landschaft und Thüringer Volksleben in alter und neuer Zeit“ Aus Thüringer Sage und Dichtung, gesammelt von Erich Nippold, Gotha“. Heft 2, Frankfurt a. M. 1924, Verlag von Moritz Diesterweg

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